Interview mit den Autorinnen der SEEPRO-3-Studie

Im Interview mit den Autorinnen der Studie Pamela Oberhuemer und Inge Schreyer geht es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede von frühpädagogischen Personalprofilen in europäischen Kita-Systemen. Sie berichten unter anderem, welche Strategien andere europäische Länder für den steigenden Fachkräftebedarf entwickelt haben. Zudem nennen sie Faktoren, die die Zufriedenheit von frühpädagogischen Fachkräften mit ihrem Beruf erhöhen.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte hat die Studie?

Ziel war es, ein umfassendes Profil der gruppenleitenden Kernfachkräfte sowie der Leitungs- und Assistenzkräfte in Kindertageseinrichtungen zu erstellen. Schwerpunkte der Studie bildeten dabei die folgenden Inhalte:

  • Ausbildungen und personalbezogene Kompetenzspezifikationen, 
  • allgemeine Zusammensetzung der Kita-Teams,
  • gegebenenfalls unterstützende Fachspezialistinnen und -spezialisten,
  • Rahmenbedingungen für die berufliche Weiterbildung,
  • aktuelle Reformen und Forschungen in Bezug auf Professionalisierung und Personal-ausstattung,
  • Arbeitsbedingungen und Karriereförderung sowie
  • aktuelle Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Personalbedarfs in den Kita-Systemen.

Ergänzende Hintergrunddaten lieferten Informationen zu den nationalen Systemen der frü-hen Bildung und Kindertagesbetreuung und zu demographischen Merkmalen.

Deutschland ist das einzige uns bekannte Land in Europa, das durch die Förderung von vier aufeinander aufbauenden Forschungsprojekten eine europaweite Sicht auf aktuelle Fragen rund um das Personal in frühpädagogischen Kindertageseinrichtungen hat. Die Ergebnisse stehen mittlerweile allen Interessierten kostenfrei zur Verfügung.

Wie entwickelt sich der Fachkräftebedarf – gibt es Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu der Personalsituation in Deutschland?

SEEPRO-3 stellt die Vielfalt und Komplexität der verschiedenen Kita-Systeme detailliert dar. Nur dadurch ist es möglich, ein genaueres Bild der jeweiligen Personalprofile zu gewinnen und sie besser zu verstehen.

In den 33 untersuchten Ländern lässt sich eine übergreifende Gemeinsamkeit beim Fachkräftemangel feststellen. In zwei Drittel der Länder wird dieser als ein drängendes Problem angesehen. Folgende Gründe werden von den Ländern für den Fachkräftemangel angegeben:

  • der geringe gesellschaftliche und berufliche Status der frühkindlichen Fachkräfte,
  • die niedrige Bezahlung und fehlende Strategien für den beruflichen Aufstieg,
  • eine zunehmende Verschlechterung der Fachkraft-Kind-Quote verbunden mit zunehmender Gruppengröße,
  • eine Überalterung des Personals,
  • erhöhte Zugangsvoraussetzungen sowie
  • ein generell nachlassendes Interesse an einer Tätigkeit im Bereich der frühkindlichen Bildung.

Daraus resultiert teilweise ein Rückgang der Bewerberinnen und Bewerber für entsprechende Ausbildungen. Gleichzeitig wird in einigen Länderberichten – ähnlich wie in Deutschland – auf fehlende Ausbildungsplätze im Bereich der frühen Bildung hingewiesen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den 33 Ländern besteht in der erforderlichen Mindestqualifikation in der für die Arbeit als gruppenleitende Fachkraft. In einigen Ländern ist ein Master-Abschluss für die Arbeit mit Kindern von drei Jahren bis zum Schuleintritt erforderlich. Dies entspricht einer Qualifikation der Stufe 7 der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen der UNESCO. In fünf weiteren Ländern werden die Berufsabschlüsse der ISCED-Stufen* 5, 4 oder sogar nur 3 (berufsbildender Sekundarschulabschluss) als ausreichend angesehen. Deutschland liegt mit einer ISCED 6 als Qualifikationsvoraussetzung im Durchschnitt. Allerdings handelt es sich dabei um eine fachschulische Ausbildung und nicht – wie in allen anderen 24 Ländern mit dieser Mindestqualifikationsstufe – um eine Hochschulausbildung. Auch das Kernfachkraftprofil ist in Deutschland unterschiedlich. Es gibt keine spezialisierte „Fachkraft für frühkindliche Bildung“, wie in anderen Ländern. Die Ausbildung ist eher generalistisch und arbeitsfeldübergreifend, für den gesamten Kinder- und Jugendhilfebereich, angelegt.

Wie gehen die betrachteten Länder mit einem erhöhten Fachkräftebedarf um? Wurden dazu Strategien entwickelt?

In den SEEPRO-Personalberichten wird diskutiert, wie die Länder dem Fachkräftemangel begegnen können. In mehreren Ländern wird vor allem die Anhebung der Gehälter und damit eine entsprechende Stärkung des beruflichen Status als erfolgsversprechend angesehen. Die Gewinnung von Studierenden durch finanzielle Unterstützung und durch dualisierte Ausbildungsformate wird ebenso als positiv herausgestellt. Auch von neuen oder geänderten Möglichkeiten eines Karriereaufstiegs versprechen sich einige Länder eine positive Wirkung bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften. Andere Länder lockern die Zugangsbedingungen für den frühpädagogischen Beruf oder sehen dieses Vorhaben zumindest als zukünftige Option, um über mehr Personal zu verfügen. Damit einher geht immer die Frage, ob darunter die Qualität in Kitas leidet. Um den Fachkräftemangel zu begegnen, erarbeiten zudem viele Länder umfassende Strategien, wie sie die Attraktivität des Berufes erhöhen können. Die jeweiligen Maßnahmen werden zum Teil auch in den Landesgesetzen festgeschrieben.

Welche Faktoren erhöhen die Zufriedenheit der Fachkräfte? Was lässt sich daraus für die Situation in Deutschland mitnehmen?

Nachvollziehbar und auch in vielen Studien nachgewiesen ist die Tatsache, dass Fachkräfte dann zufrieden sind, wenn sie in ihrer Arbeit geschätzt werden. Dabei geht es ihnen nicht nur um eine bessere Entlohnung, sondern vor allem um mehr Wertschätzung im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Dies ist vermutlich die wichtigste Voraussetzung für „gute“ Arbeit in Kitas: Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im frühpädagogischen System sollten für Fachkräfte Bedingungen schaffen, die die Zufriedenheit mit ihrem Beruf erhöhen.

Welche Erkenntnisse aus der Langzeitbeobachtung sollten aus Ihrer Sicht nochmal hervorgehoben werden?

Der Bereich der frühen Bildung und Kindertagesbetreuung unterliegt in ganz Europa einem ständigen Wandel. Das macht eine fortlaufende Beobachtung dieser Entwicklungen notwendig. Dies ist auch ein Ziel der „Working Group on Early Childhood Education and Care (ECEC)“ der Europäischen Kommission. Der europaweite Fachkräftemangel wird sich vermutlich verschärfen, nachdem die neuesten „Barcelona-Ziele für 2030“ der Europäischen Kommission die Teilnahme von mindestens 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren und mindestens 96 Prozent der Kinder im Alter zwischen drei Jahren und dem gesetzlichen Einschulungsalter an frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung empfehlen. Das unterstreicht zum wiederholten Mal die Notwendigkeit politischer Investitionen in ein gut ausgestattetes und gerechtes System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Das gilt nicht nur für die Kinder und Familien, sondern auch für die bereits engagierten und bis an ihre Grenzen arbeitenden Fachkräfte.

*ISCED-Stufen: ISCED (Internationale Standardklassifikation des Bildungswesens) wurde Anfang der 1970er Jahre von der UNESCO mit dem Ziel entwickelt, einen einheitlichen Rahmen für die Sammlung und Darstellung von Bildungsstatistiken zur Verfügung zu stellen und damit Vergleiche sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Die Klassifikation wurde 1997 (ISCED 97) und 2011 (ISCED 2011) überarbeitet und bildet alle organisierten Lernprozesse ab. Seit 2015 findet die neue ISCED 2011 in der Bildungsberichterstattung der internationalen Organisationen (UNESCO, OECD, Eurostat) Anwendung. Mehr Informationen hier.