Willkommen im Sozialraum
Ein Sozialraum ist ein Raum, in dem Menschen ankommen können. Sie begegnen, helfen und vernetzen sich. Das macht ihr Leben und auch das Ankommen leichter: Denn mehr als 850.000 Menschen sind seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine im deutschen Ausländerzentralregister registriert worden. Etwa 40 Prozent von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, das meldet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Das Familienzentrum im Maintal bietet einen solchen Sozialraum. Hier werden auch geflüchtete Familien willkommen geheißen und unterstützt. Das Familienzentrum begegnet ihnen auf Augenhöhe, holt ihre Bedarfe ab und eröffnet Angebote. Zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung. Angekommene Familien können sich an vernetzte Kindertagesstätten wenden und so ein Betreuungsplatz für ihre Kinder finden. Auch der Kontakt zu anderen Familien fällt leichter.
Gabriele Steltner-Merz und Michaela Schmid sprechen in dieser Folge des Gute-KiTa-Podcasts darüber, wie man einen solchen Sozialraum schafft und was für Voraussetzungen es braucht.
Sprecher: Der Gute-KiTa-Podcast – der Podcast für KiTa-Fachkräfte und die Kindertagespflege!
Aileen Wrozyna: Mehr als 825.000 Personen aus der Ukraine sind seit Ende Februar im deutschen Ausländerzentralregister registriert worden. Etwa 40 % von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Das meldet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Damit die geflüchteten Menschen sich hier in Deutschland ein Leben aufbauen können, brauchen sie Unterstützung. Zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. Helfen kann es dabei, wenn Kitas oder Kindertagespflege-Personen im Sozialraum vernetzt sind. Das macht es für die Eltern leichter, sich im deutschen Kita-System zurechtzufinden und einen Platz für ihr Kind zu finden. Sobald die Kinder eine Kita besuchen, können sie und ihre Eltern außerdem Kontakt zu anderen Familien knüpfen. Wie man so einen Sozialraum schafft und was für Voraussetzungen das braucht, darüber spreche ich in der heutigen Folge. Mein Name ist Aileen Wrozyna. Ich freue mich, dass Sie dabei sind. Unterstützung und Integration durch Kindertagesbetreuung, die gibt es bereits in der Praxis. Ein Beispiel ist die Kita in Maintal. Dort wurde ein Sozialraum geschaffen, in dem Kitas und Kindertagespflege-Personen vernetzt sind. Koordiniert wurde dieses von Michaela Schmidt. Sie ist heute bei mir zu Gast, genauso wie die Leiterin der Kita in Maintal, Gabriele Steltner-Merz: Schön, dass Sie hier sind.
Michaela Schmidt: Vielen Dank.
Gabriele Steltner-Merz: Vielen Dank.
Aileen Wrozyna: Michaela Schmidt, was kann ich mir im Kita-Kontext unter einem Sozialraum vorstellen?
Michaela Schmidt: Zunächst ist ein Sozialraum ein Begegnungsraum, ein Lebensraum und es ist ein dynamisches System, weil viele Menschen sich darin bewegen. Ein Familienzentrum ist Teil - als Institution in dem Stadtteil zum Beispiel. Unsere Haltung im Familienzentrum ist es, mit den Menschen in den Dialog zu gehen – auf Augenhöhe, respektvoll. Denn nur so erfahren wir tatsächlich, was die Menschen bewegt, welche Themen da sind und welche Bedarfe da sind. Wir haben die Haltung, mit diesen Menschen Lösungen im Dialog zu finden. Wir können nicht ein Angebot erstellen, ohne tatsächlich mit den Menschen gesprochen zu haben und dann davon ausgehen, dass es auch sinnvoll und wirkungsvoll für diese Menschen ist.
Gabriele Steltner-Merz: Ich würde das gern ergänzen. Es gibt eine Geschichte zu diesem Haus: Vor vielen Jahren waren wir – ich sage jetzt mal – eine Kita. Wir haben versucht sehr gut, exzellent und nachhaltig Konzepte für die frühkindliche Bildung zu entwickeln mit den Kindern, die hierhergekommen sind. Wir haben schnell festgestellt, dass wir die Familien stärken müssen, damit uns das gelingt. Wir sind nach England gereist. Dort gibt es schon lange die Entwicklung der „Early Excellence Center“. Wir haben dort gelernt, wie man es so einem Sozialraum machen kann in. Welche Struktur braucht es? Welche Entwicklung braucht es? Welche Haltung braucht es? Und daraus sind Dinge entstanden, wie alle drei Jahre eine Sozialraumanalyse zu machen. Um genau festzustellen, wie die Bedarfslagen unserer Familien sind, die hier in diesem Stadtteil leben. Wir haben neben der Kita, also der frühkindlichen Bildung, Beratungsangebote für Familien entwickelt. Ein gutes Beispiel: Ungefähr 80% der Familien, die uns hier besuchen, haben Deutsch nicht als Muttersprache. Daraufhin haben wir im Kita-Bereich den ganzen Bereich Sprachbildung und Sprachförderung für Kinder stark ausgebaut. Wir haben selbst ein Konzept entwickelt, wie wir Deutschkurse für Mütter anbieten können. Das haben wir nach einem bestimmten projektbezogenen Konzept gemacht. Es hat sich so weit ausgebaut, dass es eine Externe übernommen hat. Man muss sich also vorstellen: Es ist ein ganz kleines Projekt, das wir entwickelt haben. Wir haben festgestellt: Wenn wir solche übergreifenden familienbezogene Angebote machen – eine Infrastruktur für Familien entwickeln – diese kompensatorisch für die Kinder, die in eher belasteten Familien aufwachsen, wirkt. Das ist die Idee, die dahintersteckt: Wir müssen das Familiensystem stärken.
Aileen Wrozyna: Ein ganzheitlicher Ansatz, den Sie verfolgen. Wie viele Kinder und wie viele Familien kamen bei Ihnen an?
Gabriele Steltner-Merz: Sie beziehen sich jetzt auf die ukrainischen Frauen?
Aileen Wrozyna: Genau.
Gabriele Steltner-Merz: Bei uns im Familienzentrum sind insgesamt elf Frauen, ukrainische Frauen, mit ihren Kindern angedockt. Ich schaffe mal ein kleines Bild: Das erste Treffen, das wir hatten, war vorbereitet. Wir hatten uns über die Stadt Maintal, die verwaltet, wer dort ankommt und hier in der Nähe wohnt, die Kontaktdaten dieser Menschen geben lassen und im Vorfeld Kontakt aufgenommen. Da ich nicht besonders gut Ukrainisch spreche, habe ich gleich eine Mutter angesprochen, die eines der Angebote im Familienzentrum, nämlich das Elterncafé, besucht hat. Sie hat sich sofort bereit erklärt zu dolmetschen, denn sie stammt aus der Ukraine. So haben wir ganz wunderbar die Familien kontaktiert und es herrschte sofort ein anderes Gefühl, denn man hatte sozusagen eine Stimme. Man hatte einen Menschen am anderen Ende der Leitung. Wir haben vereinbart, dass wir die Familien am ersten Tag von ihrem derzeitigen Wohnort zum ersten Familientreffen abholen. So sind wir gemeinsam in das Familienzentrum hineingekommen. Das passt ganz wunderbar zu unserer Haltung, ein offenes Haus zu sein. Jeder kann hier reinkommen, so wie er ist und kann erst mal sein. Er kann einen Ort finden, in dem er sich wohlfühlen kann. Das lag uns ganz besonders am Herzen: Diese Menschen einzuladen, gemeinsam zu kommen und einen Ort zu finden, wo sie sich austauschen und ihre Kinder spielen können.
Aileen Wrozyna: Ist das diese Art Krisenstab, den Sie gegründet haben? Von der Dolmetscherin, die Sie mit an Bord geholt haben?
Gabriele Steltner-Merz: Es gibt im Grunde zwei Ebenen, die diesen Krisenstab betreffen. Wir sind eine kommunale Einrichtung der Stadt Maintal. Die Stadt Maintal – damit meine ich unseren Fachbereich und unseren Fachdienst – hat sehr schnell darauf reagiert: Wir brauchen so etwas wie einen Krisenstab und vernetzen erst mal alle, die zu diesem Thema irgendwie etwas beitragen können. Das sind die verschiedenen Fachdienstebenen wie Bürgerladen, Gebührenverwaltung, Ehrenamtsbüro, Fachdienst Kindertagesbetreuung, Kindertagespflegeperson und Fachberatung. Also alle mit pädagogischen Leitungskräften der Kitas und der Familienzentren in Maintal. Daraufhin haben wir von den ukrainischen Familien aus gedacht, was sie brauchen. Sie brauchen kurze Wege und wenn es möglich ist, alles unter einem Dach. Sie brauchen viele vernetzte Systeme, in denen Fachdienste miteinander schnell und unbürokratisch kooperieren. Und was braucht das pädagogische Personal? Die brauchen viel Fachliteratur und Qualifizierung im Bereich traumatisierte Kinder: Wie spreche ich mit Kindern über Krieg? Wie kriege ich Kontakte zu anderen Organisationen? Was brauche ich für Material, für Fachliteratur etc.? In dem Familienzentrum hier in der Ludwig-Uhland-Straße haben wir einen kleinen Krisenstab gebildet, in dem wir uns als allererstes als Team zusammengesetzt haben. Wir haben gesagt: Das wäre eine gute Lösung für unsere Familien. Wir arbeiten mit Michaela Schmidt und mit allen Leuten, die hier außerhalb des pädagogischen Dienstes arbeiten, zusammen, damit wir möglichst niederschwellige, einfache und kostenfreie Systeme entwickeln.
Michaela Schmidt: Ja, das war tatsächlich ein sehr spannendes und auch emotional aufgeladenes Treffen. Das kann man sich ja vorstellen. Da kommen Menschen, die eine unglaubliche Flucht mit viel Angst und viel Verlust hinter sich haben und finden jetzt einen Ort, wo sie alle zusammen sind. Die kannten sich nicht alle untereinander. Es waren Kinder dabei – die Kleinsten waren so etwa ein Jahr alt – und die haben sehr geweint, waren sehr verunsichert und ängstlich. Es waren auch ältere Kinder dabei, die sich sehr über einen Rahmen gefreut haben, der mal etwas anderes geboten hat, als das, was sie in der letzten Zeit erlebt haben. Die Frauen haben die Zeit sofort genutzt ohne Übergang. Wie diese wunderbare Frau, die für mich gedolmetscht hat. Diese Frauen sind sehr zielorientiert. Sie sind unglaublich schnell in der Reaktion und es war ihnen wichtig zu erfahren, was muss ich wo und wie machen, damit ich hier erst mal leben kann. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich muss noch mal sagen: Dieser Dialog wäre auch ohne die eine Mutter, die übersetzt hat, irgendwie gegangen – durch digitale Möglichkeiten. Aber ich habe dort wieder erfahren: das, was wirklich zählt, ist als Menschen aufeinander zu treffen, Mensch und menschlich zu sein. Meine Rolle war tatsächlich, viel zuzuhören, die Übersetzung anzuhören. Ich habe mir notiert: Die wollen das und das und das wissen und habe es tatsächlich in der Zeit, in der sie noch anwesend waren, recherchiert. Damit ich diese Frauen etwas an die Hand geben kann. Das hatte den Effekt, dass es eine gewisse Sicherheit geschaffen hat und ich denke, das hat die Basis für eine vertrauensvolle nächste Begegnung geschaffen. Für die Kinder hat es den Synergieeffekt, dass sie merken, dass sich die Erwachsenen endlich mal wieder entspannen. Es gab auch eine Frau, die so unter ihrer Situation gelitten hat, dass sie hinausgerannt ist und plötzlich weg war. Ich habe dann die Kontaktperson ausfindig gemacht und gesagt, sie müsse nach der Frau gucken.
Es war schon beim ersten Treffen ersichtlich: Wir können unser Netzwerk supergut nutzen. Wir haben hier im Haus eine Sozialberaterin und wir bieten hier im Haus Deutschkurse an. Da bestand hohes Interesse. Wir haben eine Familien- und Schwangerschafts-Beraterin hier im Haus. Also waren beim nächsten Treffen diese Personen beim Familientreffen dabei und konnten live ihre Dienste anbieten. Die Unterstützung ist sofort gestartet ohne irgendeine nächste Hürde. Das hat zum Gelingen und zur Entspannung dieser Frauen sehr beigetragen. Das war und ist ja auch unser Ziel.
Aileen Wrozyna: Neben all dieser Unterstützung, von der Sie berichtet haben, wollten Sie ja aber auch noch auf eine andere Weise helfen. Zum Beispiel mit einer digitalen Plattform, mit Dolmetscher:innen, Listen und Wörterbüchern. Daneben gibt es aber mittlerweile auch ein anderes, ganz analoges Angebot, nämlich die Spaziergänge fürs Willkommen sein. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Michaela Schmidt: Das ist tatsächlich ein Projekt, das in der ersten Corona-Zeit, und zwar in der Zeit, wo plötzlich nichts mehr ging, entstanden ist. Keine Treffen mehr und um Gottes willen kein Körperkontakt. Da habe ich gedacht: Da muss es was geben, das kann es jetzt nicht gewesen sein. Ich bin auf die Idee gekommen, mit den Familien, die in meine Angebote wie zum Beispiel in das Elterncafé, gekommen sind, spazieren zu gehen. Eins zu eins da zu sein, ihnen eine Stunde, ein Ohr zu widmen. Was – nebenbei bemerkt – mein wichtigstes Organ ist, denn es bedarf hauptsächlich des Zuhörens. Wir hatten gedacht, wir könnten das nutzen für die ukrainischen Frauen, die kommen. Aber der Bedarf in diesem Bereich war gar nicht da. Sie waren sehr zufrieden mit dem Setting des Familienzentrums und der Familientreffen. Das hat sich so schnell weiterentwickelt. Ich greife jetzt vielleicht ein bisschen vor, aber mittlerweile ist es so, dass schon die kleinen Kinder in die regulären Treffen integriert sind.
Gabriele Steltner-Merz: Vielleicht kann ich das ergänzen. Das zeigt, dass wir immer sehr genau gucken, was brauchen die Familien? Die Idee ist immer, von den Familien aus zu denken. Das zeigen diese Spaziergänge. Die waren in der Corona-Zeit eine sehr gute Idee. Wir haben uns gedacht, die guten Erfahrungen können wir übertragen. Wir haben aber festgestellt, dass sich die Bedürfnisse der ukrainischen Familien deutlich unterscheiden. Die wollen ankommen, die brauchen eine sehr gute Willkommenskultur und sie wollen: einen Deutschkurs. Die wollen wissen, wie komme ich zu einem Bankkonto? Wie komme ich zu einer Krankenkarte? Wie komme ich zu meinen Asylleistungen? Wir haben im Grunde – und das zeichnet die Arbeit von uns aus – sofort gesehen, dass die Bedürfnisse anders definiert sind und geschaut, was ein gutes Angebot wäre. Das hat dazu geführt, dass diese Spaziergänge heute nicht in das System reinpassen. Wir haben das geändert, indem wir sehr schnell unsere Juristin in die Elterncafés geholt haben. Sie macht die Sozialberatung, sodass die Familien sofort all diese Dinge beantwortet bekommen haben. Wir haben das Ergebnis, dass alle Mütter, die hier bei uns andocken konnten, bereits zu 100 % in Arbeit sind. Und das ist ein Ergebnis, würde ich sagen.
Aileen Wrozyna: Auf jeden Fall. Neben Ihnen gibt es in den Projekten auch ehrenamtliche Helfer:innen. Wie motiviert man Menschen, sich längerfristig freiwillig zu engagieren?
Michaela Schmidt: Wir haben das Glück, dass es in der Stadt Maintal die sogenannte Freiwilligen Agentur gibt. Die dabei hilft, Akquise für Menschen im Stadtteil zu machen, die sich engagieren und helfen wollen. In meinem Fall war es die Mutter, die gedolmetscht hat. Das war in unserem Fall ausreichend. Ich weiß, dass es in anderen Stadtteilen anders gelaufen ist. Da gab es sicherlich auch andere Ehrenamtler, die dort mitgeholfen haben. Da das bei uns ein familiärer Rahmen war – davon kann man tatsächlich sprechen – ist eine Familienstiftung aufgekommen und für uns hat das gereicht.
Generell arbeiten wir gerne mit ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen. Für uns ist es allerdings wichtig, diese richtig einzubetten. Jemand, der das als Ehrenamt macht, ist in der Regel nicht geschult, zum Beispiel im pädagogischen Bereich oder zu Traumata. Unsere Haltung dazu ist: Diese Menschen müssen begleitet werden. Jede Ehrenamtlerin, jeder Ehrenamtler, der hier Mitarbeiter zum beispielsweise in Deutschkursen oder bei der Kinderbetreuung während der Deutschkurse ist, wird von uns, oft auch von mir, begleitet. Wir bieten Gespräche an und sagen: Wie ist es heute gelaufen? Wir reflektieren zusammen, was erlebt wurde und wie man das einordnet. Es ist uns ganz besonders wichtig, für diese Menschen zu sorgen. Ihnen einen Rahmen zu geben, in dem sie handeln können und nicht zu erwarten: Jetzt macht mal! Ich halte das für sehr wichtig. Ich würde das tatsächlich gerne weitergeben, dass Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, dieses Angebot brauchen. Ob sie es dann annehmen, ist ihre Entscheidung. Wir arbeiten sehr eng mit diesen Menschen zusammen und sie gehören zur Familie oder zum Familienzentrum dazu.
Aileen Wrozyna: Gibt es noch Punkte, bei denen Sie Unterstützung gebrauchen könnten?
Michaela Schmidt: Ich habe jede Menge Unterstützung. Natürlich, ich bin die Koordinatorin. Ich bemühe mich das Netzwerk so breit zu halten, dass es nutzbar wird. Aber ich mache das nicht allein. Solch eine Arbeit ist immer eine Teamleistung. Von Menschen, die in den Familienzentren vor Ort arbeiten: die Fachkräfte, Berater:innen, der Frau, die die Deutschkurse anbietet und vielen andere, die im weiteren Netzwerk erscheinen. Auch den Menschen der Agentur für Arbeit bzw. den Anlaufstellen innerhalb des Systems der Stadt Maintal, die viel zu bieten hat. Und insofern würde ich sagen: Ich weiß, wie ich mir Unterstützung holen kann und das hat bisher immer ausgereicht.
Aileen Wrozyna: Vielen Familien helfen sie durch ihre Unterstützung in Ihrem Projekt. Einige müssten aber wahrscheinlich auch längerfristig begleitet werden. Können Sie leisten, länger am Ball zu bleiben?
Michaela Schmidt: Im Grunde bieten wir drei verschiedene Richtungen an. Alle können, egal mit welchem Problem, kommen. Es ist völlig egal. Wir schauen dann, ob wir selbst in unserem eigenen Team Lösungen finden, Konzepte entwickeln oder Angebote daraus stricken. Es muss immer wieder reflektiert und evaluiert werden, bis es passt. Oder wir holen uns einen Experten dazu und entwickeln mit ihm zusammen ein Angebot oder eine Lösung. Dann schauen wir, wie sie angenommen wird. Wenn wir das mit unseren eigenen Kapazitäten nicht hinbekommen, begleiten wir die Familien oder die betreffende Person in ein externes Angebot. Was nicht passiert ist, dass Menschen kommen und sagen, ich habe ein Problem. Und wir sagen: „Wir sind dafür nicht zuständig.“ Das gibt es nicht! Wenn wir ein Angebot nicht selbst entwickeln können, begleiten wir die Familien direkt in eine Beratung oder in ein Angebot, das es irgendwo schon gibt.
Gabriele Steltner-Merz: Dazu kann ich ein konkretes Beispiel nennen: Eine der Frauen, die aus der Ukraine zu uns gekommen ist, war hochschwanger. Das heißt, es gab einen immanenten Bedarf, für diese Frau sofort etwas zu organisieren: einen Frauenarzt und natürlich eine Klinik. Das übersteigt meine Kompetenz. Ich habe in meinem Netzwerk sofort eine Verbindung zu den Babylotsinnen gehabt, die es hier in Hanau und Umgebung gibt, und konnte alles sofort klären. Das waren ein Anruf und zwei, drei Emails und dann konnte man die Mutter von dieser Bürde erleichtern. Das macht es leicht für weitere Unterstützung.
Aileen Wrozyna: Wir haben darüber gesprochen, wo vielleicht Grenzen in Ihrem Familienzentrum liegen, wo Sie an Externe weitervermitteln. Trotzdem geht es weiter. Wie sind die nächsten Schritte? Wie soll sich das Familienzentrum in Zukunft entwickeln?
Michaela Schmidt: Das ist für uns kein Projekt, sondern eine Grundhaltung. Jetzt geht es zwar um das Thema der ukrainischen Familien, aber es könnten auch ganz andere Familien kommen. Wir würden immer so handeln. Also kurze Wege, alles unter einem Dach und dahinter steckt eine Haltung. Die Haltung, die man hat, wenn man in einem Familienzentrum arbeiten will. Was sind die nächsten Schritte? Wir sind einfach offen und gucken, wo die Reise hingeht, was uns noch erwartet. Wir sind offen, flexibel und versuchen relativ schnell, den Familien zu helfen. Es gibt natürlich schon Überlegungen. Es ist oft so, dass die ukrainischen Familien mit ihren Kindern und Großeltern kommen. Wir haben festgestellt, dass die Mütter ganz schnell in Arbeit kommen und die Großmütter die Kinder betreuen. Und weil das so schnell geht, nicht alle Kinder ein Betreuungsangebot bekommen. Wir haben viel mit den Großmüttern zu tun. Da überlegen wir, ob wir Deutschkurse speziell für unsere ukrainischen Großmütter anbieten. Da ist eine Idee, ein Konzept zu entwickeln und das im Haus umzusetzen. Wir organisieren die Kinderbetreuung und die Großeltern könnten Deutsch lernen.
Und es gibt längerfristige Projekte. Wir haben gute Erfahrungen gemacht, wenn wir die Menschen an unser Haus binden und ihnen so Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Wir versuchen sie also an unser Haus zu binden, sodass wir sie beruflich hier einbinden können – sie eventuell eine pädagogische Ausbildung machen. Es öffnen sich mehr Menschen in andere Fachrichtungen undDisziplinen. Es ist ein längerfristiges Ziel, dass wir aus den Familien, die wir hier begleiten, das eigene Personal gewinnen. Sie bringen alle ein Potenzial mit.
Aileen Wrozyna: Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie in die Zukunft blicken? In Bezug auf diese Haltung, von der Sie gesprochen haben.
Gabriele Steltner-Merz: Am meisten freue ich mich, wenn wir es schaffen, die Familien gut auf ihrem Weg begleiten zu können. Das ist für uns die größte Freude. Es ist immer so: Irgendwann später trifft man wieder Menschen oder die Kinder dieser Familien, die dann sagen: Ach, ihr habt meine Biografie beeinflusst. Das ist das Allerbeste Ein besseres Geschenk gibt es im Grunde nicht. Das gelingt. Manchmal gelingt es auch nicht. Es sind lange Prozesse und viel Beziehungsarbeit. Man muss bei seiner Haltung bleiben. Es gibt auch Dinge, die gelingen uns nicht so gut. Dann überlegen wir immer: Was gibt es für andere Lösungen? Es ist wichtig, dass man in einer professionellen Haltung bleibt und lernt, von den Kindern und den Familien aus zu denken. Die Institution muss sich den Bedürfnissen der Familien anpassen und nicht andersherum. Es ist wichtig, dass man in dieser Haltung bleibt.
Michaela Schmidt: Ich freue mich darauf, dass diese Prozesse weiterhin so gut gelingen. Ja, es ist tatsächlich der Prozess, der Freude macht. Das Ziel in unserer Arbeit ist allerdings immer – auch im pädagogischen Bereich – uns als Fachkräfte entbehrlich zu machen. Denn wir möchten ja, dass die Menschen autonom ihre Ziele weiterverfolgen wollen. Nichtsdestotrotz ist es so – das erleben wir hier viel – dass Menschen, die gute Erfahrungen gesammelt haben, wiederkommen. Das sind Menschen, die in Elterncafés waren oder auch in „Mama oder Oma lernen Deutsch“. Man trifft die Menschen immer zweimal und das ist wunderbar. Ich habe anfangs gesagt, Sozialraum ist ein Raum des Dialogs und das entsteht dann. So etwas trägt sich – wenn auch langsam – in den Stadtteil hinein. Und darauf freue ich mich.
Aileen Wrozyna: Das sagt Michaela Schmidt. Vielen Dank für das Gespräch und natürlich auch vielen Dank an Gabriele Steltner-Merz.
Michaela Schmidt: Danke schön.
Gabriele Steltner-Merz: Danke schön.
Aileen Wrozyna: Impulse für gute KiTa ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.