Studie „Familien & Kitas in der Corona-Zeit“

Die Corona-Zeit stellte das Leben von Familien und pädagogischen Fachkräften auf den Kopf – plötzlich war nichts mehr wie vorher. Die Studie „Familien & Kitas in der Corona-Zeit“ untersuchte die Auswirkungen der Kita-Schließungen auf den Familienalltag sowie auf die Arbeitssituation der Fachkräfte. Dafür wurden 9.436 Eltern und 4.968 pädagogische Fachkräfte während der Zeit der bundesweiten Schließungen der Kindertagesbetreuung befragt (Studienzeitraum: 09. April bis 25. Mai 2020). Mit dem Studienstart im April war dies die erste und bislang größte deutsche Studie dieser Art im frühkindlichen Bereich.

 Im Interview berichten Dr. Franziska Cohen und Dr. Elisa Oppermann über die Ergebnisse ihrer Studie. 

Welche negativen Auswirkungen ergaben sich für Familien aus den Kita-Schließungen und der Corona-Pandemie?

Frau Dr. Oppermann: Familien gaben in den Befragungen das Zusammenspiel verschiedener Belastungen als Herausforderung an: Für 86 Prozent der befragten Familien gestaltete sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als besonders herausfordernd. Der Spagat im Homeoffice zwischen Kinderbetreuung, dem Bereitstellen von Beschäftigungs- und Bildungsangeboten, familiären Verpflichtungen und dem Arbeitsalltag, war für viele Familien eine besondere Belastung. Dazu kam bei 71 Prozent der Familien die Sorge um die Arbeitsplatzsituation. Als besonders belastend beschrieben die Situation zum einen erwerbstätige Familien, die im Homeoffice arbeiteten und keinen Anspruch auf Kindertagesbetreuung hatten, und zum anderen Familien, die in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.

Frau Dr. Cohen: In den offenen Fragen unserer Studie konnten Familien über die standardisierte Befragung hinaus weitere belastende Situationen angeben. Familien fühlten sich unter anderem dadurch belastet, dass Gesundheits-, Förder- und Bildungsangebote für die Kinder weitestgehend wegfielen. Konkret benannten sie beispielsweise Physiotherapie, Logopädie oder auch sportliche Freizeitaktivitäten. Insbesondere Eltern mit Kindern im Vorschulalter sorgten sich um deren Entwicklung, da sie die fehlenden Angebote in der Familie nicht auffangen konnten.

Frau Dr. Oppermann: Auch die fehlenden sozialen Kontakte wurden von Familien als belastend empfunden: sowohl zu den Freundinnen und Freunden als auch zur Familie, beispielsweise zu den Großeltern. Für viele Familien ergab sich aus der sozialen Distanzierung eine weitere Herausforderung: Neben der institutionellen Kindertagesbetreuung fielen auch private Betreuungsmöglichkeiten weg. Den Daten können wir entnehmen, dass Eltern ihre Kinder deutlich seltener von den Großeltern oder Babysitterinnen und Babysittern betreuen ließen.

Gab es auch positive Effekte, die sich für Familien aus der Corona-Zeit ergaben?

Frau Dr. Oppermann: In der Gesamtstichprobe gaben 84 Prozent der Eltern an, dass sie die gemeinsame Familienzeit während der Corona-Pandemie schätzten. In der Befragung wurde unter anderem deutlich, dass Eltern für ihre Kinder mehr Beschäftigungs- und Bildungsangebote als vor Corona bereitstellten: sie lasen, spielten, puzzelten und bastelten häufiger zusammen. Außerdem gaben die Eltern an, dass sie mit ihren Kindern häufiger Aktivitäten in der Natur als vor der Corona-Zeit unternahmen. Interessant ist hierbei, dass Eltern die positiven Auswirkungen nahezu unabhängig von ihrer Familiensituation berichteten, wohingegen die vorher genannten negativen Auswirkungen vor allem von erwerbstätigen Eltern im Homeoffice sowie von Eltern mit finanziellen Schwierigkeiten berichtet wurden.

Welche Herausforderungen nannten pädagogische Fachkräfte für ihre Arbeit?

Frau Dr. Cohen: Für die pädagogischen Fachkräfte ergeben sich bis heute viele Veränderungen, die sie unter dem weiterhin bestehenden Bildungsauftrag bewältigen müssen. Durch den Lockdown wurde ihnen die alltägliche Arbeit zunächst entzogen: von heute auf morgen brach der persönliche Kontakt zu den Kindern und ihren Familien weg und sie mussten neue, teilweise sehr kreative Wege finden, um mit den Familien in Kontakt zu bleiben. Die Notbetreuung brachte für die Fachkräfte ebenso neue Herausforderungen mit sich, denn sie mussten kurzfristig neue Regeln in die Praxis umsetzen. Gleichzeitig stehen die pädagogischen Fachkräfte als Privatpersonen vor den gleichen Herausforderungen und gesundheitlichen Sorgen wie andere Familien.

Inwieweit veränderte sich das Tätigkeitsprofil der pädagogischen Fachkräfte mit der Corona-Pandemie?

Frau Dr. Cohen:twa jede fünfte Fachkraft arbeitete mit dem Beginn der Corona-Pandemie im Homeoffice. Diese Arbeitsform gab es zuvor im Bereich der frühkindlichen Pädagoginnen und Pädagogen nicht, weshalb Aufgaben neu sortiert werden mussten. Unsere Studie zeigt: Ein Großteil der befragten Fachkräfte sah die Maßnahmen zur Kita-Schließung sowie die Regeln während der Notbetreuung als richtig an. Jedoch waren nur 43 Prozent der Fachkraft auch mit den neuen Arbeitsbedingungen zufrieden. Die Zufriedenheit mit der aktuellen Situation ist bei den pädagogischen Fachkräften aktuell etwas gesunken. Dies erklären wir uns unter anderem mit den bestehenden Ängsten von pädagogischen Fachkräften. Die Kita ist ein Arbeitsumfeld, in dem sich die Fachkräfte im Vergleich zu anderen Berufen weniger durch Abstandsregelungen oder Alltagsmasken schützen können. Dieser Umstand trägt zu Verunsicherungen bei. Insgesamt stieg die Aufmerksamkeit für digitale Tools unter den pädagogischen Fachkräften stark an. Die Kommunikation im Team, mit den Familien sowie Fortbildungen erfolgten größtenteils auf digitalen Wegen. Auch die Recherchetätigkeiten für die pädagogische Arbeit im Internet nahmen unter den Fachkräften stark zu.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Familien?

Frau Dr. Cohen: Über 80 Prozent der Fachkräfte gaben an, dass sie während der Kita-Schließzeit persönlichen oder digitalen Kontakt zu den Familien hielten. In unseren Daten zeigt sich, dass 90 Prozent der Eltern diese Kontaktaufnahme auch sehr begrüßten. Die Fachkräfte sind insbesondere für Kinder im Alter von null bis sechs Jahren sehr wichtige Bezugspersonen. Jedoch gab nur ein Drittel der Fachkräfte an, dass sie regelmäßig zu den Familien Kontakt aufnahmen. Mit Blick auf den Bildungsauftrag kommen wir zu dem Ergebnis, dass die regelmäßige, individualisierte Zusammenarbeit mit Familien trotz der vielen kreativen Ideen noch ausbaufähig ist und in der Zeit der Schließungen nicht in der Breite der Praxis umgesetzt wurde.

Mit Blick auf den anstehenden Winter: Welche Themen werden für Fachkräfte relevant?

Frau Dr. Oppermann: All die Ansätze der vergangenen Monate zur Zusammenarbeit mit Familien sollten noch einmal gemeinsam reflektiert und nachhaltig überlegt werden: Wie gelingt uns eine individualisierte und qualitativ hochwertige Form der Zusammenarbeit und die Umsetzung des Bildungsauftrags? Es kann sowohl lokal und in einzelnen Kitas immer wieder zu Schließungen kommen, aber vermutlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass Kitas in der Breite geschlossen werden.

Frau Dr. Cohen: Die Kitas sollten die in den letzten Monaten aufgebaute Infrastruktur in jedem Fall beibehalten. Dennoch braucht es auch aus meiner Sicht eine kritische Reflexion, insbesondere zur Zusammenarbeit mit Familien. Ich würde mir wünschen, dass dies auf Steuerungsebene, zusammen mit dem Träger oder auch auf Kommunal- und Landesebene angegangen wird - damit die Verantwortung nicht wieder bei der einzelnen Fachkraft liegt! Die Fachkräfte müssen frei in ihrem pädagogischen Handeln sein. Die Klärung von Datenschutzregelungen, die von den Fachkräften als größte Barriere in der Zusammenarbeit mit Familien angegeben wurde, sollte auf anderen Ebenen erfolgen. Außerdem finde ich es sehr wichtig, dass wir die Kinder, die nach wie vor zu Hause sind, im Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen nicht vergessen! Es gibt viele Kinder und Familien, die zur Risikogruppe gehören und die deshalb nach wie vor nicht von den Angeboten der Kindertagesbetreuung profitieren.

Frau Dr. Oppermann: Für die Familien, die ihre Kinder zu Hause betreuen, ist es sehr wichtig, gute Unterstützungssysteme zu etablieren. Denn die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass gestresste Eltern weniger Bildungsangebote für ihre Kinder bereitstellen.