Interview mit Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne

Kinder können noch nicht verstehen, was eine Pandemie bedeutet.

Interview mit Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne

Prof. Dr. med. Schulte-Körne ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München. Die Klinik hat in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung das Infoportal zur psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche „Corona und Du“ gestartet. Dort finden sich altersgerechte Infos zu psychischen Beschwerden sowie Tipps und Hilfestellungen zum Umgang mit den Belastungen. Im Interview berichtet Prof. Dr. Schulte-Körne, wie man Kindern Corona erklären kann.

Wie erleben Kinder die anhaltende Corona-Pandemie? Was beschäftigt sie aktuell am meisten?

Prof. Dr. Schulte-KörneViel dreht sich um Schule und Freunde. Die Kinder vermissen die Freunde, das gemeinsame Spielen, gemeinsame Unternehmungen und Zusammensein. Schule ist stressiger, Lernen in Coronazeiten mit Homeschooling und Unterricht, der ausfällt oder unter erschwerten Bedingungen stattfindet, ist für viele belastend. Hinzu kommt, dass die Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich Lernumfang und –leistung nicht angepasst wurden. Vor allem geht es Schülerinnen und Schülern mit Lernproblemen deutlich schlechter, da ihnen die notwendige individuelle Unterstützung fehlt. Im Vorschulalter sehen wir eher starke Verunsicherungen bei den Kindern: Was darf ich jetzt tun, was nicht?"

Wie können sie verstehen, dass Feste wie der Laternenumzug oder die Weihnachtsfeier ausfallen und Corona kein „Normalzustand“ ist?

Prof. Dr. Schulte-KörneDas Verstehen hängt vom Alter der Kinder ab, je jünger sie sind, desto mehr leiden sie unter dem Wegfall oder den Veränderungen während der Festtage. Den Eltern kommt hier eine wichtige Rolle zu. Sie können Alternativen schaffen und so helfen, dass die Kinder besser damit umgehen können. Bei jüngeren Kindern ist Aufklärung wichtig. Hier entstehen Ängste, weil Kinder noch nicht verstehen können, was so eine Pandemie bedeutet. In einer kindgerechten Sprache und Anschaulichkeit durch Bilder kann es gelingen, Ängste zu nehmen bzw. erst gar nicht entstehen zu lassen. Auf unserem Infoportal  „Corona und Du" werden wir Anfang Dezember Infos, Tipps und Hilfen für Eltern veröffentlichen, wie sie ihre Kinder in der Coronazeit unterstützen können."

Was macht Kindern aktuell Angst und wie verarbeiten sie die Informationen?

Prof. Dr. Schulte-KörneBei den jüngeren Kindern sind es die Angst um die Eltern und Großeltern, dass diese schwer erkranken können und ins Krankenhaus müssen. Kinder im Vorschulalter leiden darunter, dass sie nicht wie sonst mit ihren Freunden spielen dürfen, sie spüren, dass sich etwas verändert ohne genau zu verstehen, warum dies so ist. Bei den älteren stehen eher die Ängste um die Zukunft im Vordergrund, die Angst, in der Schule nicht zurecht zu kommen. Nicht wenige Kinder und Jugendliche reagieren auf die verschiedenen, anhaltenden Belastungen mit Traurigkeit, Rückzug und deutlicher verschlechterter Stimmung. Bei manchen erhöht sich sogar das Risiko an einer Depression oder Angststörung zu erkranken, wenn keine Hilfe angeboten werden kann oder der Hilfebedarf nicht erkannt wird."

Wie übertragen sich Unsicherheit und Überforderung von Eltern auf die Kinder?

Prof. Dr. Schulte-Körne: Kinder haben ein feines Gespür für Belastungen und Sorgen der Eltern. Manche Kinder wollen die Eltern entlasten, trösten und ihnen Aufgaben abnehmen. Streiten sich die Eltern wiederholt, sprechen sie über ihre finanziellen Sorgen in Anwesenheit der Kinder und beteiligen sie bei ihren Alltagsproblemen oder Partnerschaftskonflikten, überfordern sie ihre Kinder damit und erhöhen so den Druck. Nicht immer sind die Ängste und Sorgen sofort sichtbar. Gerade bei den jüngeren oder eher ruhigeren Kindern bemerken die Eltern die Veränderung erst spät, manchmal auch deshalb, weil sie mit ihren Sorgen sehr beschäftigt sind. Daher empfehle ich, gerade bei den Kleinen aufmerksam zu sein, sie anzusprechen, mit ihnen zusammen zu spielen und zu kuscheln. Dies vermittelt ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes. In diesem Rahmen ist es dann auch meist möglich, die Sorgen des Kindes zu besprechen."

Weitere Informationen

Infoportal zur psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche „Corona und Du“