Eingewöhnung unter Corona-Bedingungen
Die Eingewöhnung muss sich am Wohl und an den Bedürfnissen der Kinder orientieren – auch unter Corona-Bedingungen.
Interview mit Prof. Dr. Rahel Dreyer
Prof. Dr. Rahel Dreyer ist Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Entwicklung und Bildung im frühen Kindesalter, die familienbezogene Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Übergänge in frühpädagogische Bildungsinstitutionen. Im Interview berichtet sie, wie die Eingewöhnung unter Corona-Bedingungen gelingen kann und welche Rolle dabei pädagogische Fachkräfte und Eltern einnehmen.
Warum ist eine professionelle Eingewöhnung auch während der Corona-Pandemie für Kinder so wichtig?
„Die Eingewöhnungsphase ist auch in Zeiten der Pandemie eine hochsensible Phase. Pädagogische Fachkräfte bauen eine positive, warmherzige Bindung und Beziehung zum Kind auf. Dabei kommt insbesondere den ersten Tagen und Wochen eine sehr große Bedeutung zu. Eine erfolgreiche Eingewöhnung bietet die Grundlage für einen weiteren positiven Entwicklungs- und Bildungsweg der Kinder in den jeweiligen Einrichtungen. Nur wenn die Kinder sich sicher und wohlfühlen können sie von den Bildungsangeboten in einer Kita tatsächlich profitieren. Wird die Eingewöhnung nicht professionell gestaltet, wirkt sich dies negativ auf die Entwicklung und das Wohlbefinden von Kindern aus. Daher muss eine professionelle Eingewöhnung auch unter Corona-Bedingungen einen zentralen Stellenwert behalten."
Wie kann eine Eingewöhnung unter Corona-Bedingungen wie z.B. Hygienevorschriften und Abstandsregelungen gelingen?
„Hygienestandards sind wichtig. Sie müssen aber immer in Relation zu den pädagogisch und entwicklungspsychologisch begründeten Bedürfnissen von Kindern stehen. Wichtig ist unter anderem, dass sich das Kind am Gesichtsausdruck der begleitenden Bezugsperson orientieren kann. Bei Irritationen oder Kummer muss das Kind Blick- und Körperkontakt zur Fachkraft aufnehmen können. Das Tragen von nicht-transparenten Masken, die wesentliche Teile des Gesichts verdecken, erscheinen mir aus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Sicht während der Eingewöhnung nicht sinnvoll. Auch Gesichtsvisiere könnten das Erkennen von Gesichtsausdrücken einschränken und zudem verängstigend auf sehr junge Kinder wirken. Die vorgeschriebenen Abstandsregelungen zu anderen Kindern und Erwachsenen sollten während der Eingewöhnung eingehalten werden. Die Eltern können sich bei der Eingewöhnung – wie ohnehin üblich – passiv im Hintergrund halten."
Wie kann sichergestellt werden, dass pädagogische Qualitätsstandards in der Eingewöhnung erhalten bleiben? Was benötigen pädagogische Fachkräfte dafür?
„Die Eingewöhnung muss sich an den individuellen Bedürfnissen des Kindes orientieren und von einer festen Bezugsperson begleitet werden. Die Eingewöhnungszeit darf dabei nicht pauschal gekürzt werden, beispielsweise um die Anwesenheit der Eltern in der Einrichtung zu reduzieren. Für die Eingewöhnung dürfen Eltern die Einrichtung betreten. Es ist nicht vertretbar, ein noch nicht eingewöhntes Kind am Zaun oder der Tür der Einrichtung zu übergeben. Wenn die Einrichtung über ein Außengelände verfügt, könnten Teile der Eingewöhnung dort stattfinden. Alternativ kann ein Teil der Eingewöhnungszeit auf einem nahegelegenen Spielplatz stattfinden. Dennoch ist es wichtig, dass sich das Kind auch an die Innenräume und Abläufe innerhalb der Einrichtung im Beisein einer vertrauten Bezugsperson gewöhnen kann. In jeder Einrichtung sollte es einen Notfall- und Stellvertretungsplan geben. Aus diesem geht hervor, wer einspringt, wenn eine eingewöhnende Fachkraft aufgrund von Erkrankung oder Quarantäne ausfällt. Die Organisation ist eine zentrale Leitungsaufgabe, die aufgrund der angespannten Personaldecke nicht immer einfach umzusetzen ist. Sinnvoll ist zudem, dass von Anfang an ein „Tandem“ das Kind eingewöhnt. Während eine Fachkraft mit dem neuen Kind in direkten Kontakt tritt, agiert die andere im Hintergrund mit der Gruppe. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass das Kind bereits Kontakt zu einer zweiten Fachkraft hat, die dem Kind bei Personalausfall nicht mehr ganz so fremd ist. Es sind einrichtungs- und trägerbezogene Entscheidungen gefragt, die die Praxis auch unter Corona-Bedingungen am Wohl und den Bedürfnissen der Kinder ausrichten."
Worauf sollten Fachkräfte während der Eingewöhnungsphase bei Kindern derzeit besonders achten?
„In Zeiten der Pandemie sollten Fachkräfte die Zusammenarbeit mit Eltern aufrechterhalten. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung, damit sich Kinder in eine Kita gut einleben und Übergänge bewältigen können- auch während der Pandemie. Gerade jetzt kann es zu Vorfällen kommen, auf die man entsprechend reagieren muss. Wird das Kind beispielsweise kurz vor seiner Aufnahme krank oder muss in Quarantäne bleiben, sollte die Eingewöhnung verschoben werden, bis es wieder gesund und völlig erholt ist. Wenn ein Kind ein paar Tage krank oder in Quarantäne war, sollten Eltern es nicht nur morgens in der Einrichtung abgeben. Sie sollten auch nach einer Fehlzeit von nur wenigen Tagen das Ankommen etwas ausdehnen dürfen. Nach einer längeren Erkrankung sollten Fachkräfte und Eltern gemeinsam überlegen, wie sie den Neustart sensibel gestalten können."