Gesundheitliche Folgen der Corona-Pandemie für Kinder

Es wird über Jahre dauern, die gesundheitlichen Folgen der Corona-Pandemie aufzuarbeiten.

Interview mit Jakob Maske

Gesunde Kinder und Jugendliche haben ein niedriges Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken. Im Falle einer Infektion verläuft diese meist mit milder Symptomatik oder asymptomatisch. Weltweit leiden Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen jedoch sehr unter den Folgen der Pandemie. Die Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 haben tiefgreifende Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, die ein Leben lang spürbar sein können. Zu diesen Folgen zählen zum Beispiel psychische Störungen, Essstörungen sowie Übergewicht, aber auch Medien- und Spielsucht.

Jakob Maske, niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Berlin und Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V., berichtet in diesem Interview von den gesundheitlichen Folgen der Corona-Pandemie für Kinder.

Welche gesundheitlichen Folgen beobachten Sie bei Kindern aufgrund der Corona-Pandemie zunehmend?

„Die größten gesundheitlichen Folgen entstehen nicht aufgrund der Infektion, sondern aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Die meisten Daten hierzu beziehen sich auf Schulkinder: So hat COVID-19 zur größten Beeinträchtigung der Bildungssysteme in der Geschichte geführt. Doch auch Kita-Kinder leiden unter den Kitaschließungen und deren Folgen. Untersuchungen der Krankenkassen ergeben, dass die Zahlen von Essstörungen und Adipositas unter Kindern stark gestiegen sind. Auch die psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Angst- und Zwangsstörungen haben stark zugenommen - auch unter jüngeren Kindern. Außerdem hat die Doppelbelastung der Eltern durch die Lockdown-Maßnahmen und Home Office einen großen Einfluss auf die Bildschirmzeit von kleinen Kindern. Hinzu kommt, dass die negativen Auswirkungen der Pandemie nicht gleich verteilt sind. Kinder, die unter schwierigeren Bedingungen leben, leiden unverhältnismäßig stark unter den langfristigen gesundheitlichen Folgen. Die Studienlage zum Risiko von Langzeitfolgen einer Corona-Infektion ist noch nicht zu endgültigen Ergebnissen gekommen, geht jedoch von einer niedrigen einstelligen Prozentzahl betroffener Kinder aus.“

Wie gefährlich ist das Corona-Virus für Kinder? Welche Maßnahmen raten Sie Eltern mit ungeimpften Kindern? Wie sollten sie sich verhalten?

„Dennoch ist Corona in der Altersgruppe der Kita-Kinder mit anderen Erkrankungen wie z.B. respiratorische Synzytial-Viren (RSV) vergleichbar. Die Corona-Infektion führt nicht zu größeren Komplikationen als die schon bekannten Viren. Eltern können ihre Kinder schützen, indem sie die üblichen Hygiene- und Schutzmaßnahmen einhalten, also Händewaschen, Abstand halten und Kontakte reduzieren. Die Kinder sollten aber in jedem Fall gerne weiter in die Kita gehen, denn soziale Kontakte sind äußerst wichtig. Der beste Schutz für die Kinder ist die Impfung bzw. der Impfboost der Erwachsenen, denn so verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Infektionen weitertragen.“

Treten mehr Atemwegsinfektionen auf? Ist das Immunsystem bei Kindern durch die Corona-Maßnahmen besonders geschwächt?

„Insgesamt lässt sich sagen, dass das Immunsystem der Kinder nicht geschwächt ist. Vielmehr sehen wir auch hier einen Effekt aus den Corona-Maßnahmen. Wenn die Kita schließt, machen die Kinder die normalen Infekte, die sie sonst übertragen bekommen, nicht mit. Die Kita war nun eine Weile geschlossen und daher ballt sich die Infektionslage seit der Öffnung der Kitas. Die Infektionen, die sonst über das ganze Jahr verteilt stattfinden, machen die Kinder nun in viel kürzerer Zeit durch. Die Anzahl der Infekte pro Jahr bleibt dabei aber ungefähr gleich. Es liegt also nicht an einem geschwächten Immunsystem, sondern daran, dass die Infekte jetzt geballt auftreten.“  

Wie lange wird es dauern, um die gesundheitlichen Folgen aufzuarbeiten? Welche Mittel braucht es dafür?

„Es wird über Jahre dauern, die gesundheitlichen Folgen der Corona-Pandemie aufzuarbeiten. Insbesondere die psychiatrischen Erkrankungen werden uns noch lange begleiten. Hier ist es wichtig, dass wir alle ganz genau hinsehen und Kinder dann punktuell fördern. Hier ist es weniger hilfreich, wenn Gelder in die Breite gestreut werden. Vielmehr ist es fördernd, wenn Fachkräfte und Ärztinnen und Ärzte genau erfassen, wo die Probleme liegen. Auch hinsichtlich der Lerndefizite werden die Folgen noch lange spürbar sein. Der durch die Corona-Maßnahmen entstandene Bewegungsmangel führt auch zu einem körperlichen Entwicklungsrückstand. Diese kann zum Beispiel durch gemeinsame Sportprogramme in den Kitas in den nächsten Jahren aufgefangen werden.“

Welche Rolle nehmen pädagogische Fachkräfte in der Aufarbeitung von gesundheitlichen Folgen ein? Auf welche Signale der Kinder sollten sie besonders Acht geben?

„Pädagogische Fachkräfte nehmen eine besonders wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der gesundheitlichen Folgen ein. Wir als Kinderärztinnen und Kinderärzte sehen die Kinder oft nur jährlich und sind daher auf das pädagogische Auge angewiesen. Fachkräfte sollten sowohl auf psychische als auch auf körperliche Signale achten. Psychiatrische Signale können zum Beispiel sein, dass sich Kinder zurückziehen oder aggressiver werden oder aber, dass sich Verhaltensweisen verändern. Körperliche Signale können zum Beispiel sein, dass ein Kind nicht mehr klettert und andere altersgemäße Bewegungen nicht mehr ausführt. Hier braucht es sowohl eine pädagogische Förderung als auch in manchen Fällen eine medizinische Betreuung.“