Übergang von der Kita in die Schule in Zeiten der Corona-Pandemie

Isabelle Norkeliunas-Kaeber und Ilka Ruhl sind als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen beim Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi) tätig und beschäftigen sich u.a. mit dem Übergang von der Kita in die Grundschule sowie der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Eltern. Im Interview geben sie einen Einblick in die gelingende Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Schule und teilen gute Praxisbeispiele aus ihrem Projekt „Gesund von der Kita in die Schule“ während der Corona-Pandemie.

In dem Projekt arbeiten Pädagoginnen und Pädagogen von Kita und Schule als gleichwertige Partnerinnen und Partner daran, einen gesunden Übergang für die Kinder zu gestalten. In drei Verbünden in Berlin-Neukölln (Neukölln-Nord, Buckow und Britz) gaben die teilnehmenden Akteurinnen und Akteure den Impuls zur Entwicklung eines Leitfadens zur Begleitung von Familien, der im Herbst 2021 veröffentlicht wird. Als die Begleitung der Einrichtungen vor Ort für die Mitarbeitenden des BeKi aufgrund der Corona-Kontaktbeschränkungen nicht mehr möglich war, entstand eine Ideensammlung und Impulse zur Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Schule in Zeiten der Corona-Pandemie. Gefördert wird das Projekt vom Bezirksamt Neukölln und der Techniker Krankenkasse.

Wie kann der Übergang von der Kita und Schule während der Corona-Pandemie von Fachkräften und Eltern begleitet werden?

„Generell ist der Übergang von der Kita in die Schule eine sehr spannende und aufregende Zeit. Dabei sind verschiedene Akteurinnen und Akteure beteiligt. Zum einen das Kind selbst und die nächsten Bezugspersonen wie zum Beispiel die Eltern, aber auch Geschwisterkinder und andere nahestehende Personen. Sie bewältigen gemeinsam und aktiv die Herausforderungen des Übergangs. Zum anderen sind die Fachkräfte aus der Kita, dem Hort und der Schule dabei wesentlich beteiligt und moderieren den Prozess. Auch in der Pandemie ist es unterstützend, wenn die Fachkräfte die Gelingensbedingungen für einen guten und gesunden Übergang von der Kita in die Schule kennen und im Blick haben. Das bedeutet zum Beispiel, dass sowohl Raum für das Neue und die Neugier gegeben wird als auch vertraute Dinge in den neuen Lebensabschnitt mitgenommen werden können. Zum Beispiel kann der Erzählkreis aus der Kita in der Schule weitergeführt werden. Eine gute Kooperation zwischen Kita und Schule trägt zu einem gelingenden Übergang bei und wird in der praktischen Ausführung durch die pädagogischen Fachkräfte an Kita und Schule gestaltet. Auch die Beteiligung von Eltern unterstützt einen gelingenden Übergang, in Pandemiezeiten zum Beispiel durch digitale Gespräche oder Elterngespräche im Freien. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Partizipation von Kindern. Dabei geht es darum, die Bedürfnisse, Fragen und Ideen von Kindern ernst zu nehmen. Wenn beispielsweise aufgrund der Pandemie nicht alle Ideen umgesetzt werden können, haben Fachkräfte die Möglichkeit die Kinder aus verschiedenen möglichen Formaten auswählen zu lassen. Zentral ist immer auch der individuelle Blick auf jedes Kind. Das einzelne Kind mit seinen Fragen und Bedürfnissen muss gesehen werden. Dabei können Fachkräfte in einen Dialog treten und die Kinder nach ihren Vorstellungen und Erwartungen fragen und mit ihnen gleichzeitig abgleichen, was sie in der Schule erwartet. Eltern können mit den Kindern zuhause Bilderbücher zum Thema ansehen und vor allem Zeit und Offenheit für Gespräche signalisieren.“ 

Wie gelingt die Förderung von Vorschulkindern in der Einrichtung - wenn gruppenübergreifende Angebote nicht stattfinden können?

„Wichtige Bestandteile der Unterstützung von Vorschulkindern sind zum Beispiel das freie Spiel, die Stärkung der Ich-, Sozial-, Sach- und Lernmethodischen Kompetenzen sowie die Förderung eines Kohärenzgefühls beim Kind. Der Kohärenzsinn besteht aus drei Bestandteilen: der Sinnhaftigkeit (warum lerne ich überhaupt Lesen, Rechnen und Schreiben?), der Verstehbarkeit (wie kann ich neue Eindrücke gut einordnen und verarbeiten?) und der Handhabbarkeit (wie kann der Prozess gut unterstützt werden?). Das Kohärenzgefühl bildet sich jedoch nicht nur in der Zeit kurz vor dem Übergang in die Schule – sondern während der gesamten Zeit in der Kita. Dabei kommt dem freien Spiel eine wichtige Bedeutung zu. Im selbstgewählten Spiel können Kinder ihre unterschiedlichen Kompetenzen gut weiterentwickeln: die Ich-Kompetenz, die Sozialkompetenz in der Interaktion mit anderen, die Sachkompetenz als Wissensschatz und die lernmethodische Kompetenz, als Bewusstsein für das was und wie ich lerne. Gerade in so unsicheren Zeiten wie denen der Pandemie ist es wichtig, dass Kinder sich trauen, Fragen zu stellen: Was darf ich denn hier? Trage ich eine Maske? Wen darf ich sehen und wen darf ich umarmen?“ 

Was benötigen Eltern und Fachkräfte dafür?

„In den Zeiten der Corona-Pandemie besteht eine große Herausforderung für Eltern, Fachkräfte und Kinder, diesen Übergang bestmöglich zu bewältigen. Auch wenn die Zeit des Übergangs aufregend und unter den aktuellen Bedingungen beschwerlich wirkt, wünschen wir den Eltern und Fachkräften Gelassenheit und dass sie den Blick nicht auf das lenken, was jetzt gerade nicht möglich ist, sondern auf die Ressourcen und Fähigkeiten, die die Kinder schon mitbringen. Wichtig ist dabei, den individuellen Blick aufs Kind zu richten: Was braucht das einzelne Kind gerade? Welche Stärken hat das Kind? Wo liegen die individuellen Sorgen und Ängste? Dabei ist es die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, den Eltern transparent aufzuzeigen, welche Kompetenzen das Kind schon aus der Kita mitnimmt und mit den Eltern in Kontakt zu bleiben.“ 

Welche Denkimpulse und praktischen Anregungen gibt es? Sind Ihnen gute Praxisbeispiele aus Kitas bekannt?

„Einer unserer Verbünde in Buckow (Berlin-Neukölln) fragte sich, wie sie ausgleichen können, dass die Kinder die Schule vor ihrem ersten Schultag gar nicht von innen sehen können. Da starteten sie eine Brieffreundschaft mit einer 1. Klasse an der Grundschule. Die Kinder konnten ihre Fragen aufmalen oder mit Unterstützung durch die Fachkraft in der Kita aufschreiben. Die Kinder in der Grundschule haben diese daraufhin beantwortet. So setzten sich die Kinder auch schon mit dem Schriftsystem auseinander. In einer anderen Kita luden Fachkräfte ein Schulkind, zum Beispiel ein Geschwisterkind, in die Kita ein oder schalteten es per Videokonferenz dazu. Eine andere Fachkraft malte mit den Kindern Bildern dazu, wie sie sich ihre zukünftige Schule vorstellen und erstellte daraus ein Plakat, das ganz zentral in der Kita aufgehängt wurde. Andere Einrichtungen organisierten einen Spaziergang zur Schule. Manche Eltern sind den Schulweg mit ihren Kindern abgelaufen und warfen schon mal einen Blick auf den Schulhof. Eine andere Möglichkeit ist auch, sich die Homepage der Grundschule anzuschauen und so gemeinsam mit dem Kind über die anstehende Zeit in der Schule ins Gespräch zu kommen. Beim Kauf des Schulranzens lässt sich ein schöner Moment schaffen, mit dem Kind über seine Fragen zum Schulstart zu sprechen. Weitere gute Praxisbeispiele finden interessierte Eltern und Fachkräfte auch in unserer Ideensammlung zur Gestaltung des Übergangs in Zeiten der Corona-Pandemie. Es geht darum, die Dinge, die auch normalerweise Teil des Übergangs sind, an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen und sich immer zu fragen: Wie können wir dieses oder jenes trotzdem umsetzen?“

Wie können Kinder „Abschied“ von ihrer Kita nehmen?

„Der Abschied ist sehr wichtig für alle Beteiligten: für die Kinder, die gehen, für die, die in der Kita bleiben, aber auch für die Eltern und die pädagogischen Fachkräfte. Daher ist es sehr wichtig, diesem Abschied die angemessene Bedeutung zu verleihen und den Übergang zu zelebrieren. Während der Corona-Pandemie fragten sich die Fachkräfte in unserem Projekt: Wie haben wir den Abschied sonst bei uns gestaltet? Danach wurde überlegt, was jetzt gerade unter den aktuellen Regelungen und Beschränkungen noch möglich ist. Dazu wurden Abschiedsfeste mit reduzierter Personenzahl oder im Freien gefeiert. In manchen Einrichtungen gibt es beispielsweise das Ritual, den Kindern zum Abschied etwas mitzugeben. Dazu hängten Fachkräfte Schultüten in den Baum vor der Kita, die die Kinder sich dann mit ihren Eltern pflücken konnten. Eine weitere schöne Idee ist, Briefe mit Wünschen an die Kinder zu schreiben. Dabei kann man den Kindern, die in der Kita bleiben, auch die Möglichkeit geben, eigene Seiten mitzugestalten. Auch hier ist es wichtig, die Kinder aktiv zu beteiligen und zu fragen, wie sie sich selbst ihren Abschied vorstellen und dann auf ihre Wünsche einzugehen. Ein gut begleiteter Abschied stärkt das bereits erwähnte Kohärenzgefühl, sodass Kinder es beim Ankommen in der Schule leichter haben.“

Wie erfahren Eltern, ob ihr Kind fit genug für die Schule ist (insb. im Hinblick auf die ausfallenden Untersuchungen)?

„Auch hier gilt allgemein, dass regelmäßige Entwicklungsgespräche dabei wichtig und hilfreich sind und die Fragen der Eltern beantworten: Was lernen die Kinder im Kita-Alltag? Welche Kompetenzen bauen sie aus? Wie wird das Kind in der Kita und Zuhause wahrgenommen? Dabei sind die Expertinnen und Experten sowohl die Eltern als auch die pädagogischen Fachkräfte, da es um einen beidseitigen Austausch geht. Vor dem Übergang von der Kita in die Schule gibt es meistens ein spezielles Gespräch zwischen den Eltern und der Fachkraft, das oft mit dem Sprachlerntagebuch verknüpft wird. Das Sprachlerntagebuch wird mit jedem Kind in Berlin gemeinsam geführt und dem Kind am Ende der Kita-Zeit mitgegeben. Die Lerndokumentation wird mit Zustimmung der Eltern an die zukünftige Grundschule übergeben. Durch die Einschätzung im Sprachlerntagebuch bekommt die Lehrerin oder der Lehrer einen Anknüpfungspunkt, was das Kind in der Kita schon alles gelernt hat und wie seine Lernprozesse weiterhin unterstützt werden können.“