Interview mit Expertin zur Wiedereingewöhnung nach der Corona-Zeit
Ich würde den Fachkräften raten: Gebt den Kindern mehr Zeit zum Spielen, damit sie verarbeiten können, was sie erlebt haben.
Interview mit Expertin Anne Kuhnert zur Wiedereingewöhnung nach der Corona-Zeit
Anne Kuhnert ist Dozentin und Bildungsreferentin in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren für und mit Bildungseinrichtungen. Praktische Erfahrungen sammelte sie während ihrer Zeit als Pädagogin in einer Kita in Berlin-Neukölln. Aktuell leitet Anne Kuhnert unter anderem einen Online-Kurs für pädagogische Fachkräfte zum Thema Wiedereingewöhnung nach der Corona-Zeit. Kommen Kinder nach der Corona-bedingten Kitapause zurück in die Einrichtungen, ist die Situation für viele oft erst einmal neu und ungewohnt. Im Interview gibt Anne Kuhnert einen Einblick, worauf dabei ein besonderes Augenmerk gelegt werden sollte.
Sind Fachkräfte durch die neue Situation verunsichert?
„Ich erlebe, dass die pädagogischen Fachkräfte unheimlich engagiert und geduldig mit den Kindern sind und sagen: „Wir schaffen das schon!“ Dazu benötigen sie allerdings vom Träger die Erlaubnis, bestimmte Themen gerade liegen zu lassen, damit sie sich auf die Wiedereingewöhnung konzentrieren können. Wird diese Erlaubnis, Prioritäten gerade anders zu setzen, ausgesprochen, hilft das den Fachkräften unheimlich. Damit sie nicht das Gefühl haben, es wird zu viel von ihnen erwartet. Ich würde den Fachkräften raten: gebt den Kindern mehr Zeit zum Spielen, damit sie verarbeiten können, was sie erlebt haben. Mir wurde aus Kitas berichtet, dass die Kinder aktuell sehr gut miteinander ins Spielen finden und es erstaunlicherweise wenig Konflikte gibt. Die Kinder freuen sich einfach, in der Kita zu sein und sind sehr harmoniebedürftig.
Um sicherer mit der neuen Situation umgehen zu können, können Fachkräfte sich fachlich weiterbilden. Vor allem Online-Angebote, wie der Online-Kurs zur Wiedereingewöhnung, kommen sehr gut bei den Fachkräften an, da sie zeitlich unabhängig stattfinden können. Der Kurs bietet beispielsweise Podcasts oder Videos, die sich die Fachkräfte selbstständig und zu jeder Zeit erarbeiten können. Dies lässt sich sehr gut neben dem Kita-Alltag bewältigen.“
Worauf muss bei der Wiedereingewöhnung besonders geachtet werden?
„Bei der Wiedereingewöhnung sind insbesondere drei Säulen relevant:
1. Die Bedürfnisse der Kinder: Wir müssen davon ausgehen, dass Kinder sehr unterschiedlich reagieren. Mir wurde berichtet, dass viele Kinder zunächst sehr ruhig und vorsichtig sind. Die Kinder müssen sich erst an die neue Situation in der Einrichtung herantasten. Dafür braucht es von Seiten der Fachkräfte ein hohes Maß an Sensibilität und Geduld.
2. Die Zusammenarbeit mit Familien: Für die Eltern geht in der Regel wieder der Arbeitsalltag los. Da sind sie schnell wieder drin. Doch einige Kinder benötigen eine neue, behutsame Wiedereingewöhnung. Die Eltern müssen von den Fachkräften gut begleitet werden, damit sie verstehen: der Alltag funktioniert für die Kinder nicht direkt so, wie vor der Corona-Zeit.
3. Die Zusammenarbeit im Team: Einzelne Kolleginnen und Kollegen geraten gerade innerhalb der Kita-Teams in interne Konflikte. Einige der pädagogischen Fachkräfte arbeiten von zu Hause, da sie zu einer Risikogruppe gehören und ihr individuelles Risiko zu erkranken zu hoch ist. Diejenigen, die in der Einrichtung arbeiten, fühlen sich teilweise ungerecht behandelt und allein gelassen, da sie den Personalmangel auffangen müssen. Dazu braucht es von Seiten der Kita-Leitung Gespräche mit den pädagogischen Fachkräften. Damit die Erzieherinnen und Erzieher verstehen: die Situation ist für beide Seiten herausfordernd. Viele Einrichtungen benötigen gerade für das Team Coachings bzw. Supervisionen anstelle von Fortbildungen. Bildungsfachthemen sind sehr wichtig, aber nicht unbedingt jetzt. Aktuell geht es darum, dass die Teams nicht auseinanderfallen.“
Ist es sinnvoll, dass Kinder direkt wieder in vollem Umfang in der Kita betreut werden oder braucht es eine sanfte Wiedereingewöhnung?
„Die Frage ist immer, aus welcher Perspektive antworte ich? Insbesondere für die berufstätigen Eltern ist es schwierig zu verstehen, wenn es nach all den langen Wochen zu Hause nun nur langsam voran geht. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind in dieser Hinsicht nicht immer genauso verständnisvoll wie die Fachkräfte in den Kitas. Deshalb muss einerseits der Spagat zwischen den Bedürfnissen der Eltern und der Kinder gelingen. Zudem wird es Kinder geben, für die es von Vorteil ist, wenn sie direkt wieder im vollen Betreuungsumfang einsteigen. Das gilt vor allem für Kinder, die während der Corona-Zeit innerhalb ihrer Familien vernachlässigt wurden. Für diese ist es nun besonders wichtig, viel Zeit in der Einrichtung zu verbringen. Andere Kinder benötigen hingegen eine behutsamere Wiedereingewöhnung. Pädagogische Fachkräfte benötigen dabei viel Fingerspitzengefühl, um sich die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes genau anzuschauen und auf diese einzugehen. Ich würde den Eltern immer sagen: wir gucken uns erst einmal an, wie das einzelne Kind in der Kita ankommt.“