Interview mit Expertin Anne Kuhnert zur Zusammenarbeit mit Familien

Anne Kuhnert ist Dozentin und Bildungsreferentin in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren für und mit Bildungseinrichtungen. Davor sammelte sie viele Jahre praktische Erfahrungen in einer Kita in Berlin-Neukölln. Vor kurzem entwickelte Anne Kuhnert eine E-Learning-Plattform mit Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen, an denen auch während der Corona-Zeit teilgenommen werden kann.

Warum ist es wichtig, dass pädagogische Fachkräfte und Tagespflegepersonen während der Schließzeit mit Eltern und Kindern in Kontakt bleiben?

„Aus meiner früheren Arbeit als Pädagogin in einer Kita in Berlin-Neukölln kenne ich, dass Kinder auch mal über einen längeren Zeitraum nicht da waren. Zum Beispiel, weil sie über mehrere Wochen in die Heimat ihrer Familie gefahren sind. Das sind meine TOP fünf Gründe, weshalb ein guter Austausch mit den Familien auch während deren Abwesenheit wichtig ist: 

  1. Damit die Eingewöhnung nach der Schließzeit nicht so schwierig wird. Insbesondere für die jüngeren Kinder kann es eine große Herausforderung darstellen, nach mehreren Wochen in die Kita zurückzukehren.  
  2. Außerdem können Gefährdungslagen innerhalb der Familien besser eingeschätzt werden, wenn der Kontakt zu den Familien bestehen bleibt. Wie wichtig dies aktuell ist, wird durch Untersuchungen deutlich, die vermuten lassen, dass Übergriffe gegenüber Kindern in Familien zugenommen haben.  
  3. Gleichermaßen fühlen sich die Eltern entlastet, wenn die Bezugspersonen aus der Kita mit ihren Kindern Kontakt halten. Das können nur ganz kurze Momente sein, in denen sich die Eltern mit ihren Problemen oder Sorgen nicht allein gelassen fühlen. Das Wissen, eine andere Bezugsperson hat noch einen Blick auf das Kind, hilft ihnen schon sehr.
  4. Ein nächster wichtiger Punkt ist, dass die sprachliche Bildung auch während der Schließzeiten weiter gefördert werden muss. Denn die Sprachförderung kann nur gelingen, wenn konstant drangeblieben wird.  
  5. Der letzte Grund, den ich nennen möchte, sind die sozialen Kontakte außerhalb der Familie, die als zusätzlicher Input für die Entwicklung der Kinder unerlässlich sind.“

Welche Herausforderungen treten in der Zusammenarbeit mit Familien auf?

„Ich glaube, dass es vielfältige Gründe haben kann, weshalb es nicht überall gleichermaßen gut gelingt, den Kontakt zu den Kindern und ihren Familien während der Schließzeiten aufrecht zu halten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass teilweise ältere Kolleginnen und Kollegen Sorgen vor den technischen Hürden haben. Fachkräfte, die langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kindern haben, merken nun, dass ihre Routinen gerade nicht funktionieren. Auch das Ausformulieren eines Briefes an die Kinder ist ansonsten eher selten Teil ihrer praktischen Arbeit und stellt eine neue Aufgabe dar. Einige Fachkräfte sind deshalb sehr verunsichert: Mache ich alles richtig? Wer liest den Brief noch mit? Welche Erwartungen haben die Eltern? Andere Fachkräfte sind aufgrund instabiler Internetverbindungen frustriert, insbesondere auf dem Land. Das Anforderungsprofil einer Fachkraft wird immer größer und differenzierter und spiegelt sich nicht mehr für alle in der Wertschätzung und Entlohnung wider. Das Arbeiten hat sich verändert, aber die neuen Möglichkeiten müssen auch angenommen werden!“

Welche Beispiele guter Praxis gibt es?

„Mich freut es sehr zu sehen, wie viele Beispiele guter Praxis bereits in der Zusammenarbeit mit Familien bestehen. Sei es die ‚Sprechstunde am Gartenzaun‘, zu der sich die Familien mit den Erzieherinnen und Erziehern einmal die Woche austauschen, der Podcast für Kita-Gruppen oder kleine Aufgaben, die den Kindern in Briefumschlägen nach Hause geschickt werden. Wichtig dabei ist, dass es den Eltern so einfach wie möglich gemacht wird. Ein fehlender frankierter Rückumschlag kann schon eine Barriere dafür sein, die bemalte Postkarte nicht zurückzusenden.“