Auswirkungen von Corona auf Fort- und Weiterbildungen

Gerade bei Weiterbildungen im frühpädagogischen Bereich ist oft auch der Austauschaspekt ein besonders wichtiger Teilnahmegrund.

Interview mit Angélique Gessler

Angélique Gessler ist wissenschaftliche Referentin bei der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF) des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DJI) und Mitautorin des Fachkräftebarometers. Im Interview spricht sie über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Wissenserwerb und -transfer in Kitas, was sich durch die Corona-Pandemie an den Fortbildungsformaten und Themen geändert hat und wie ein nachhaltiger Transfer gelingen kann.

Angélique Gessler führte bei WIFF die Weiterbildungsstudie durch, die im Oktober 2020 gestartet ist. Deutschlandweit wurden dabei circa 900 Leitungs- und Fachkräfte in allen Bundesländern außer Bremen befragt. In der Weiterbildungsstudie geht es insbesondere um den Wissenserwerb und den Wissenstransfer pädagogischer Fachkräfte durch non-formale Weiterbildungen. Dabei werden auch Veränderungen durch die Corona-Pandemie in den Blick genommen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Wissenserwerb und Wissenstransfer in Kitas?

„Wir gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie eine besondere Situation für die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas darstellt und sich somit auf ganz viele unterschiedliche Weisen auf sie auswirkt. Die angespannte Situation in den Einrichtungen durch stetige Aktualisierungen der Vorschriften erfordern ein hohes Maß an Kommunikation. Dabei geht es sowohl um die Kommunikation im Team, aber auch zu den Eltern hin. Es geht für die Fachkräfte immer um Information und um Austausch miteinander. Daher ist Wissenstransfer für diese Berufsgruppe unverzichtbar. Normalerweise sind pädagogische Fachkräfte eine sehr weiterbildungsaffine Berufsgruppe. Das heißt, dass sie hohe Weiterbildungsquoten aufweisen. Die WIFF-Befragung während der Corona-Pandemie zeigt, dass die ersten sechs Monate der Pandemie sich negativ auf die Weiterbildungsquoten ausgewirkt haben. Als Grund dafür geben 48 Prozent die Corona-Pandemie an und 28 Prozent den Personalmangel. Insbesondere arbeitsplatznahe Formate, die vor Ort in der Kita stattfinden, sind stark durch Kita-Schließungen und Umstrukturierungen der Arbeitsplätze beeinflusst. Es gibt aber auch einen Unterschied zwischen Fachkräften und Leitungskräften, der unabhängig von der Pandemie ist. So werden Weiterbildungsmaßnahmen wie kollegiale Beratung, Supervision und Coaching von Fachkräften deutlich seltener genutzt als von Leitungskräften.“

Wie haben sich Fortbildungsformate während und durch die Corona-Pandemie verändert?

„Grundsätzlich sind die Formate der Weiterbildung sehr vielfältig und unterschiedlich: zum Beispiel finden manche Fortbildungen in Teams statt, andere als Einzelcoachings oder als kollegiale Formate. Vor der Corona-Pandemie wurden fast alle Fortbildungen als reine Präsenzveranstaltungen durchgeführt (94 Prozent). Diese analogen Formate wurden während der Corona-Pandemie zunehmend auf digitale Formate umgestellt. Fast die Hälfte der Fortbildungen fanden als reine Online-Veranstaltung statt – das bedeutet eine Steigerung um das 4,5-Fache. Bisher spielten E-Learning und Blended Learning-Formate oft eine untergeordnete Rolle. Das hat sich durch die Corona-Pandemie geändert.“

Inwiefern sollte an digitalen Fortbildungsformaten auch nach der Corona-Pandemie festgehalten werden?

„Digitale Fortbildungsformate senken das Hindernis für pädagogische Fachkräfte an Weiterbildungen teilzunehmen: es ist weniger Aufwand, es gibt keine Anfahrt und es ist leichter mit den Arbeitszeiten, Familie, Pflege und anderen Dingen im Leben vereinbar. Daher bieten digitale Fortbildungsformate viele Chancen für den Wissenstransfer. Meta-Studien haben gezeigt, dass es keinen großen Unterschied zwischen Präsenzformaten und Blended Learning gibt, was den Lernerfolg betrifft. Blended Learning ist häufig sogar erfolgreicher als reine Präsenzformate. Dabei geht es aber natürlich auch immer um das Thema und die Methode der Fortbildung. Manchmal ist Präsenz wichtig, um direkten Kontakt oder Vertrauen aufzubauen. Gerade bei Weiterbildungen im frühpädagogischen Bereich ist oft auch der Austauschaspekt ein besonders wichtiger Teilnahmegrund. Dieser informelle Austausch bei einer Tasse Kaffee gelingt in analogen Formaten oft leichter. Bei digitalen Formaten ist es wichtig, diesen Aspekt mitzudenken und den virtuellen Raum auch dafür zu öffnen und zu gestalten.“   

Wie kann ein nachhaltiger Transfer gelingen?

„Um einen nachhaltigen Transfer zu gewährleisten, braucht es zwei Arten von Transfer: einen Lerntransfer und einen Wissenstransfer. Damit das Gelernte in der Praxis umgesetzt werden kann, sollte in der Weiterbildung ein Anwendungsbezug durch Fallbeispiele oder praktische Übungen hergestellt werden. Gerade dieser praktische Bezug gelingt in analogen Formaten oft leichter. Dieser Lerntransfer funktioniert deutlich besser, wenn genügend Zeit und Gelegenheit zur Umsetzung ist und das Team unterstützend dahintersteht. Deshalb ist es ebenso wichtig, dass das Gelernte auch ins Team oder Kollegium gestreut wird, um das ganze Potenzial des Wissenstransfer auszuschöpfen. Denn nur wenn über die Inhalte berichtet wird, kann das Gelernte auch weitergetragen werden. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Leitungs- und Fachkräften. Leitungskräfte teilen ihr neu gewonnenes Wissen deutlich häufiger mit dem Team als Fachkräfte.“

Welche Fort- und Weiterbildungsthemen sind Ihrer Einschätzung nach für die Zeit nach der Corona-Pandemie besonders relevant? Inwiefern haben Themen durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen?

„Insgesamt sind für pädagogische Fachkräfte viele Themen relevant. Studien zeigen, dass das Themenspektrum äußerst breit ist: von Kinderschutz zu Personalentwicklung, von Konfliktmanagement bis Zusammenarbeit mit Familien. Die Fachkräfte sollten die Themen individuell nach Interesse und Aufgabengebiet wählen, da dies auch den Wissenstransfer und den Kompetenzerwerb fördert. Studien zeigen, dass die Leitungen während der Corona-Pandemie eine wesentlich größere Aufgabenvielfalt übernommen haben und ihnen eine wichtige Schlüsselrolle in der Kita zukommt. Auch neue Themen kamen hinzu, wie zum Beispiel die Digitalisierung in Kitas, Ausbau von Führungsthemen und viele weitere. Viele Leitungskräfte standen unter hohem Druck und Stress und waren zunehmend belastet. Hier sollten auch Weiterbildungen ansetzen und die Leitungskräfte unterstützen. Neue Themen für Weiterbildungen sind Mitarbeiterführung, Kita-Management, Einsatz digitaler Medien, Umgang mit Stress, Präventive Gesundheitsmaßnahmen und den Team-Zusammenhalt stärken. Gerade der letzte Punkt ist durch die hohe Belastung während der Corona-Pandemie sehr gefährdet. Wie wichtig aber ein hoher Team-Zusammenhalt ist, zeigen Studien: die Arbeitsbelastung der Leitungsfachkräfte sinkt, wenn ein gutes Arbeitsklima im Team herrscht. Ein weiteres wichtiges Thema, das durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnt, ist die psychische und physische Gesundheit der Kinder. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten und Studien werden Verfahren der Beobachtung und Dokumentation aktualisiert, um Fachkräfte zu schulen und zu sensibilisieren.“