Karrieremöglichkeiten stärken Qualität und Vielfalt in Kitas

Maria-Theresia Münch ist wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. Im Interview erklärt sie die Bedeutung von Weiterentwicklungsmöglichkeiten in der Kindertagesbetreuung.

Frau Münch, welche Rolle spielen Karrieremöglichkeiten für die Fachkräftegewinnung und -bindung in der Kindertagesbetreuung?

„Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass das Arbeitsfeld der Kindertageseinrichtung für junge Menschen attraktiv ist. Dennoch stehen wir vor der Herausforderung, dass etwa ein Viertel der ausgebildeten Fachkräfte innerhalb der ersten drei bis fünf Berufsjahre die Kindertageseinrichtungen wieder verlässt. Das gilt insbesondere für akademisch qualifizierte Kindheitspädagoginnen/ Kindheitspädagogen und männliche Fachkräfte. Ein Grund dafür sind unter anderem unklare oder fehlende Weiterentwicklungs- und Karrieremöglichkeiten in den Kindertageseinrichtungen. 

Um den Fach- und Führungskräftebedarf zu decken, ist es daher wichtig, das Arbeitsfeld attraktiver zu gestalten. Dies kann durch Entfaltungs-, Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für tätige und zukünftige Fach- und Führungskräfte gelingen. Unter bestimmten Voraussetzungen können dadurch auch Personen anderer Berufsgruppen einen Zugang in das Arbeitsfeld erhalten und somit unterschiedliche Kompetenzen in den Einrichtungen vereint werden können.“

Wer profitiert von vielfältigeren Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Karrierewegen?

„Die enorm hohe Weiterbildungsbereitschaft der Fachkräfte muss sich für sie selbst lohnen – monetär und mit Blick auf ihre beruflichen Handlungskompetenzen. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, sich beruflich innerhalb der Einrichtungen zu verändern und weiterzuentwickeln und ggf. weitere Abschlüsse bzw. berufliche Qualifikationen zu erwerben.

Zugleich bieten sich mit der Ausdifferenzierung von Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Karrierewegen für Träger Handlungsoptionen, z. B. zur Sicherung des Personalbedarfs, zur Umsetzung einer inklusiven frühen Bildung und letztlich zur Sicherung und Steigerung der Qualität der Einrichtungen. So gesehen geht es nicht nur um die Entwicklungsperspektiven der einzelnen Fachkraft, sondern vielmehr darum, das gesamte Feld der Kindertageseinrichtungen in seiner Qualität und beruflichen Vielfalt zu stärken. Deswegen ist es wichtig, dass dies nicht nur für große Träger möglich ist, sondern auch für kleinere, nicht im Verbund organisierte Kita-Träger.“

Was ist der Unterschied zwischen horizontalen und vertikalen Karrieremöglichkeiten?

„Eine horizontale Ausdifferenzierung durch Weiterqualifizierungen bietet den Fachkräften die Möglichkeit, ihre fachspezifischen Kompetenzen zu erweitern und sich in einem bestimmten Fachbereich zu spezialisieren. Welche fachspezifischen Profile für eine Einrichtung erforderlich sind, ist abhängig von drei Faktoren:

  1. der Konzeption, die der Träger verantwortet, 
  2. den Anforderungen im Sozialraum,
  3. und/oder den Vorgaben des örtlichen Trägers der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe.

Weiterqualifizierungen ermöglichen Fachkräften, Tätigkeiten als Multiplikatorinnen oder Multiplikator wahrzunehmen. Das kann nicht nur innerhalb einer Einrichtung bzw. Teams sein, sondern, je nach Größe des Trägers, auch in mehreren seiner Einrichtungen. Aufgabe dieser Fachkräfte ist es, die Weiterentwicklung der Einrichtung oder des Trägers in einem bestimmten Fachgebiet gezielt voranzubringen. Das kann zum Beispiel in der alltagsintegrierten Sprachbildung, der inklusiven Ausgestaltung von Kindertageseinrichtungen oder der digitalen Medienbildung sein. Der Deutsche Verein schlägt hierfür die Bezeichnung „spezialisierte Facherzieherin/spezialisierter Facherzieher“ vor.

Vertikale Karrierewege zielen darauf ab, Stellen mit einer herausgehobenen Verantwortung zu etablieren. Dabei geht es also um den Aufstieg über die Hierarchieebenen innerhalb der einzelnen Einrichtung, aber auch über die einzelne Einrichtung hinaus. Sie werden oft als „Funktionsstellen“ bezeichnet. Im Vergleich zu den anderen Tätigkeiten in einer Einrichtung beinhalten diese Stellen eine höher einzugruppierende Tätigkeit. Das heißt, sie beinhalten im Sinne des Tarifrechts höherwertige Kompetenzen und einen höheren Grad an Verantwortung. Diese Tätigkeiten sollten daher auch ein höheres Gehalt nach sich ziehen. Beispielsweise kämen hierfür Praxisanleiter/innen oder stellvertretende Kitaleiter/innen in Frage.“

Welche Strukturen braucht es, um diese Karrieremöglichkeiten stärker zu etablieren?

„Für die Umsetzung müssen verschiedene Akteure und Ebenen in den Blick genommen werden:

  • Die örtlichen Träger wie auch die Kita-Träger sind gefordert, eine strategische Personalentwicklung und Personalbindung als systematische Aufgabe anzunehmen und die Ausdifferenzierung der Karrierewege als Chance wahrzunehmen. Hierfür müssen sie Kita-Leitungen und Kita-Träger unterstützen, qualifizieren und damit stärken.
  • Nach Ansicht des Deutschen Vereins braucht es außerdem eine Verständigung zwischen den Fachministerien für Kultus, für Bildung und Jugend sowie für Familie, wie horizontale und vertikale Karrierewege ausdifferenziert werden können.
  • Die horizontale und vertikale Ausdifferenzierung sollte zudem in den Tarifverträgen aufgenommen werden. Dazu braucht es die Zusammenarbeit mit den Tarifpartnern.

Wir als Deutscher Verein haben uns explizit dafür ausgesprochen, dass die Qualifizierungen ausschließlich von anerkannten, zugelassenen Weiterbildungsträgern durchgeführt werden sollten. Hier bieten sich auch Kooperationen mit Hochschulen oder die Etablierung von Weiterbildungszentren an. Ebenfalls sollte eine länderübergreifende und systematische Ausgestaltung im Sinne eines gemeinsamen Rahmens durch die überörtliche und oberste Ebene der Länder, das heißt durch die JFMK und KMK, sichergestellt werden. Dies kann durch die Schaffung einheitlicher gesetzlicher Grundlagen in den Bundesländern gelingen, wie es beispielsweise Brandenburg in einem „Sozialberufsgesetz“ geregelt hat.“

Der Deutsche Verein hat 2023 in seinen Empfehlungen für die Etablierung von Karrierewegen noch weitere dezidierte Umsetzungsvorschläge für die verantwortlichen Akteure formuliert. Das Empfehlungspapier finden Sie hier.

Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag

Die Ausdifferenzierung von Karrierewegen ist eines der Ziele der „Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag“. Das Empfehlungspapier der „AG Gesamtstrategie Fachkräfte“ enthält konkrete Maßnahmen für die Fachkräftesicherung und -bindung für die Lernorte Kita und Ganztag.