Praxisportrait: Reistrommel e.V. in Berlin-Marzahn
Vor-Ort-Besuch des BMFSFJ und des BMI bei Reistrommel e.V.

Der Verein Reistrommel e.V. in Berlin-Marzahn bietet seit über 15 Jahren Integrationskurse mit kursbegleitender Kinderbeaufsichtigung an. Seit Januar 2022 wird diese mit dem Bundesprogramm „Integrationskurs mit Kind: Bausteine für die Zukunft“ über das Modell 2 gefördert. In Modell 2 wird die Kinderbeaufsichtigung durch fest angestellte Personen durchgeführt, welche die Qualifizierung zur Kindertagespflege tätigkeitsbegleitend absolvieren. Eine Bezuschussung zu den Teilnahmegebühren der Qualifizierung wird ebenfalls gefördert. Bei einem Vor-Ort-Besuch im April 2023 erhielten Vertreterinnen und Vertreter des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) einen Einblick in die Arbeit des Trägers vor Ort.
Die Gäste wurden von den beiden Koordinatorinnen Thi Thu Huong Bui und Petra Wegener durch die Hauptgeschäftsstelle geführt und konnten sowohl die Integrationskurse als auch die Kinderbeaufsichtigung im laufenden Betrieb kennenlernen. Im Anschluss fand eine Gesprächsrunde statt, an der auch die Vorsitzende und Gründerin von Reistrommel e.V. Tamara Hentschel sowie eine Kinderbeaufsichtigungsperson und eine Mutter teilnahmen. Im Fokus des Gesprächs standen die Erfahrungen mit der Kinderbeaufsichtigung unter den Rahmenbedingungen des Bundesprogramms sowie die Arbeit des Trägers im Allgemeinen, welche insbesondere durch enge Vernetzung und gute Kooperationspartnerschaften sowie ein besonderes Augenmerk auf Qualität geprägt ist.
Lange Geschichte und breites Angebot
Reistrommel e.V. setzt sich seit 30 Jahren für die Interessen von Migrantinnen und Migranten in Deutschland ein. Der Verein verfolgt das Ziel, die Lebenssituation der als Arbeitsmigrantinnen und -migranten nach Deutschland gekommenen vietnamesischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und deren Familienangehörigen sowie von Asylsuchenden zu verbessern. Kinderbeaufsichtigung ist dabei schon lange Teil des breiten Unterstützungsangebots von Reistrommel e.V., um Eltern mit Kindern im nichtschulpflichten Alter die Teilnahme an Integrationskursen zu ermöglichen.
Aktuell führt Reistrommel e.V. montags bis freitags neun Integrationskurse mit bis zu 200 Teilnehmenden täglich an zwei Standorten durch. Das Klientel ist zu 68% vietnamesischer Abstammung. Es wurde durch die letzten Flüchtlingswellen heterogener, aktuell sind viele Teilnehmenden aus der Ukraine dazugekommen. Zuvor lag die Quote bei knapp 90% von Personen mit vietnamesischen Wurzeln. Der Großteil der Kursteilnehmenden sind Frauen. „Ohne die Kinderbeaufsichtigung säßen sie nicht hier“, berichtet Petra Wegener, Koordinatorin und Migrationsberaterin bei Reistrommel e.V. Viele Frauen sind außerdem auf die Kurse am Vormittag angewiesen, weil am Nachmittag die älteren Kinder aus der Schule kommen.
Die Integrationskurse mit Kinderbeaufsichtigung sind dabei nur ein Teil der Arbeit von Reistrommel e.V. Ebenfalls zum breiten Unterstützungsangebot gehören: Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer, kultursensibles Einzelcoaching, aufsuchende Beratung in Gemeinschaftsunterkünften, Austausch- und Beratungsangebote für Seniorinnen und Senioren sowie der „Berliner Führerschein“, ein Angebot zur Erkundung des Sozialraums in Ergänzung zum Integrationskurs. Außerdem setzt sich der Verein mit Projekttagen, Fortbildungsveranstaltungen und Festen für interkulturelle Verständigung und gegen Rassismus ein.
Pädagogische Qualität stärken und Fachkräfte gewinnen

Zur Förderung der pädagogischen Qualität haben die Beaufsichtigungspersonen im Dezember 2022 Qualifizierungen zu Kindertagespflegepersonen begonnen. Das Qualifizierungsangebot wurde vom Qualifizierungsträger Quecc GmbH konzipiert. Hieran hat sich auch der Träger Reistrommel e. V. beteiligt. Besonders bedeutsam für die Teilnehmenden an diesem Qualifizierungsangebot ist die muttersprachliche Umsetzung bzw. die Heranziehung von Übersetzerinnen und Übersetzern. Inhaltliche Schwerpunkte sind unter anderem der Kinderschutz, die Reflektion verschiedener Erziehungsbilder, entwicklungspsychologische Grundlagen und die kindliche Sprachentwicklung. Die Qualifizierung findet auf Wunsch der Beaufsichtigungspersonen samstags statt, um die Vereinbarkeit mit der Kinderbeaufsichtigung unter der Woche zu gewährleisten. Die Teilnahmegebühren werden über das Bundesprogramm bezuschusst. Teilweise bringen die Beaufsichtigungspersonen, welche alle selbst Teilnehmerinnen an Integrationskursen des Vereins waren, pädagogische Vorbildung aus ihren Heimatländern mit.
Vor dem Bundesprogramm wurde die Kinderbeaufsichtigung teilweise privat durch teilnehmende Mütter oder durch Ehrenamtliche organisiert. Der Träger schätzt sehr, dass diese nun durch das Bundesprogramm gefördert wird und die Kinderbeaufsichtigungspersonen eine Qualifizierung erhalten. Hierdurch könne das Kindeswohl besser gewährleistet werden. Außerdem erhielten die Beaufsichtigungspersonen auf diesem Wege bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und durch die Festanstellung soziale Absicherung.
Reistrommel e.V. legt schon lange großen Wert auf pädagogische Qualität in der Kinderbeaufsichtigung. So organisiert Reistrommel e.V. regelmäßig interne Schulungen für die Mitarbeitenden zu Themen wie Kinderschutz oder Zusammenarbeit im multikulturellen Team. In der Kinderbeaufsichtigung wird auf gemeinsame Aktivitäten geachtet, zum Beispiel einen Morgenkreis, bei dem alle Altersgruppen (von sechs Monaten bis zum Schuleintritt) mitmachen können. Reistrommel e.V. lädt die Eltern außerdem ein, schon eine Woche vor dem Integrationskurs mit dem Kind vorbeizukommen. So kann sich das Kind an die Beaufsichtigungssituation gewöhnen und die Eltern können später im Integrationskurs entspannter und konzentrierter lernen. Diese Angebote werden vom Kursträger als Eigenleistung finanziert, da sie über die Förderungen im Rahmen des Bundesprogramms hinaus gehen.
Neben der pädagogischen Qualität der Kinderbeaufsichtigung legt der Verein auch einen Fokus auf die Bildungsprozesse der Eltern. Diese sollen guten Gewissens dem Sprachunterricht folgen, während sie ihre Kinder gut beaufsichtigt wissen. In Teammeetings wird Wissen geteilt und reflektiert. Durch die Migrationsberatung und die gute Vernetzung im Sozialfeld kann der Verein die Eltern gut bei der Suche nach einem Kita-Platz unterstützen.
Brückenangebote schaffen
Die integrationskursbegleitende Kinderbeaufsichtigung ist besonders hilfreich für die Eltern, weil viele noch keine Erfahrung mit Fremdbetreuung haben. Frau Wegener berichtet, dass fast alle Familien gern einen regulären Kita-Platz hätten. Viele stehen auf etlichen Wartelisten und Reistrommel e.V. versucht, bei der Suche zu unterstützen. Aufgrund des guten Netzwerks des Trägers gelingt die Vermittlung immer häufiger. „Aber selten schnell genug“, sagt Frau Wegener. Wenn die Kinder dann einen Kita-Platz erhalten, nachdem sie die integrationskursbegleitende Kinderbeaufsichtigung besucht haben, fällt ihnen die Eingewöhnung häufig leicht, weil sie mit der Fremdbetreuung schon vertraut sind. So stellt die Kinderbeaufsichtigung bei Reistrommel e.V. für viele Familien ein Brückenangebot dar. Gleichzeitig arbeitet der Verein daran, selbst eine Betriebsgenehmigung für eine Kita zu erwirken und steht dazu bereits in Abstimmung mit dem Landesjugendamt.
Am Bundesprogramm schätzt der Kursträger die Qualitätssteigerung der Kinderbeaufsichtigung und die beruflichen Perspektiven, die den Beaufsichtigungspersonen gegeben werden können. Besonders wichtig am Bundesprogramm ist dem Kursträger, dass der pädagogische Wissenstand der Mitarbeitenden verbessert werden kann. Auch die Möglichkeit, ehemaligen Integrationskursteilnehmenden, welche pädagogische Vorbildungen, aber auf Grund von Sprachbarrieren keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, eine berufliche Perspektive zu bieten, ist für Reistrommel e.V. ein großer Pluspunkt am Bundesprogramm. Jedoch nicht nur die Beaufsichtigungspersonen profitieren im hohen Maße vom Bundesprorgramm. Vor allem Müttern wird durch die Kinderbeaufsichtigung die Teilnahme am Integrationskurs erst ermöglicht. Neben dem besonderen Engagement der Mitarbeitenden des Trägers gelingt die Umsetzung des Bundesprogramms besonders gut, weil der Träger über sehr gute Kooperationen und Netzwerke verfügt. Neben dem guten Kontakt zum Jugendamt bestehen gute Verbindungen zum Bezirk oder zur Integrationsbeauftragten. Kritisch sieht Reistrommel die Finanzierung des Bundesporgramms und den hohen Verwaltungsaufwand.